27.3.12

Leipziger Nachgeschmack, Teil V: Samstag, 17.3., bis Montag, 19.3.2012

Samstag, 17.3.2012
Heute war ich etwas früher da: Um 9.45 Uhr entfernte ich die Plastikfolie, die, mit Klammern befestigt, außen unseren Stand abschirmte, und räumte sie weg.
Die Charonesen kamen erst um 10.10 Uhr. Nach dem Bondage-Workshop in einem (finanziell kleinlichen) Swingerclub weit außerhalb von Leipzig sei es spät geworden, erst um zwei habe man ins Bett gefunden.
Ein Angestellter meiner Stammdruckerei in Erlangen war da, ein Rentner, der ab und zu für »besonders schwierige Aufgaben« reaktiviert wird (wozu meine Bücher anscheinend gehören), der Autor meiner Neuerscheinung »Der Herrin Wille geschehe« war da, leider ohne jede Resonanz, ich war am Sonntagnachmittag auf einer Lesung seiner Frau (über ihre Afrika-Reiseerfahrungen), und vor allem war auf einmal Christine da, eine alte Bekannte der Charonesen: Klein, quirlig, nett, freundlich, immer lächelnd, zierlich, schlank, schwarzer Pagenkopf – so eine Art Mireille Mathieu. Wie sich herausstellte, hatte »S-Art«, der Fotograf meiner zwei »Das-Internat-in-den-Reben«-Ponygirlbände, sie vor Jahren zu einem Ponygirl machen wollen – aber sie hatte abgelehnt. Dabei wäre sie mit Sicherheit ein ganz süßes Ponygirl geworden …
So waren wir wieder zu viert an unserem 4-Quadratmeter-Stand – und blieben meist außerhalb desselben, sonst wäre für die werten Leser kaum noch Platz geblieben.
Von denen allerdings ließen sich nur sehr wenige in den Stand locken. »So viele vorüberströmende Leute, und so wenige kommen zu uns – das hab ich noch nie erlebt!« N. mußte mir recht geben. Doch während Charon nach diesem müden Beginn noch eine ganz ansehnliche Tageskasse machte, ging ich mit popligen 30 Euro Umsatz raus – indiskutabel.
Das Fernsehen war auch da – MDR arte, um genau zu sein (ich wußte gar nicht, daß es das gibt). Man sei schon vorgestern bei Dreharbeiten bei den Linksverlagen auf uns aufmerksam geworden – »da waren Sie doch gestreift, nicht wahr?« In der Tat: Natürlich zog ich jeden Tag was anderes an, in jedem Falle aber was Auffallendes: eine schwarz-rot-gestreifte Hose, eine goldfarbene Hose, eine getigerte Krawatte …
Doch fast wie von selbst ergab es sich, daß für das Interview nicht ich, sondern Grimme vor der Kamera stand als der (Dienst-)Ältere, Erfahrenere. Nebst einigem über Bondage gab er auch seine Auffassung von der SM-Szene zum besten: »Wir kommen ja auch [wie die Linksverlage hier] aus der emanzipatorisch-alternativen Ecke …« So? Hat es nicht in der taz gerade neulich erst einen gegenüber SM sehr skeptischen Artikel gegeben? Haben nicht Alternative oft gegen SM-Parties gewütet mit der Begründung, das sei Verherrlichung patriarchaler Gewalt?
In Grimmes eigenem Magazin ließ der Kolumnist Engelhart Teufel in den 90er Jahren mal eine devote Frau zu Wort kommen, die das ganz anders sah: »Ich mag die SCHLAGZEILEN nicht – da gerät meine Sexualität in so einen Zusammenhang aus Alternativszene und Psycho-Selbsthilfegruppen-Dauergelaber. Das »freie Forum für Erziehungsfragen«, das ist meine Welt! Das ist in der Sprache der Macht geschrieben, nicht von außen reflektierend. Die ganze Suche nach Zustimmung ist einfach ungeil!« Sie suchte – das ging aus ihren weiteren Worten hervor – einen konservativ-bürgerlichen Ehemann, der ihr zeigte, wo's langging, und der ihr nötigenfalls den Arsch versohlte. Mit einer solchen Form von SM, diskret ausgeübt, käme das Bürgertum gewiß hervorragend klar, genauso wie auch mit Schwulen à la Ole von Beust, so markant-männlichen Typen – nur die schrillen, zeigefreudigen Tunten vom CSD mißfallen. Heteros stellen ihre Sexualität ja auch nicht so zur Schau.
In einem Punkt mag ich der erwähnten devoten Frau widersprechen und Grimme zustimmen: Als SM-Verleger bin ich auf ein Mindestmaß an Zustimmung, an Legalität angewiesen, um meinen Beruf weiterhin ausüben zu können. Ansonsten ist es mir schnuppe, was die breite Öffentlichkeit oder die Alternativszene von mir und/oder meinen Büchern denkt, und der CSD läßt mich ziemlich kalt (ich war nie da).
Grimme versprach dem MDR eine kleine Fesselvorführung, falls sie um 14 Uhr Zeit hätten. Sie hatten. Anschließend filmten sie das vor unserem Stand vorüberflanierende Publikum und deren Gesichter, und das, als ich gerade mit dem obenerwähnten Rentner schwatzte. (Auch über die Marterpfahl-Bücher wurde die Kamera ausgiebig geschwenkt, und jetzt glaubt das Fernsehpublikum womöglich, es seien Charons Bücher ...)
18 Uhr: der Schlußgong. Krawatte abmachen, zusammenräumen. Das nette, freundliche Christinchen war enttäuscht, daß es mir keine Insidertips für den Abend geben konnte, weil ich gar nicht wußte, was ich wollte. Ich wollte mich einfach nur treiben lassen durch die Altstadt, die ich bisher vernachlässigt hatte.
Am Hauptbahnhof stieg ich aus der Tram, nachdem ich wie üblich die ganze Fahrt im Stehen auf meinen sowieso schon müden Füßen verbracht hatte. Der Leipziger Hauptbahnhof ist riesig – einer der größten Deutschlands und Europas. Auf dem Stadtplan wirkt er fast halb so groß wie die doch recht überschaubare Innenstadt innerhalb der Ringstraße. Um 1900 war Deutschland auf der Karte eher »breit« als »hoch«, waren Ost-West-Verbindungen wichtiger als Nord-Süd-Verbindungen. Und so bekam die boomende Bücher- und Industriestadt Leipzig, von 1870 bis 1900 von 100.000 auf 450.000 Einwohner angewachsen, die Stadt des obersten Reichsgerichts, diesen riesigen Prunkbahnhof. Vor ihm kreuzen sich dermaßen viele Trambahnlinien, daß man oft in der vollen Tram minutenlang warten muß, bis sie Einfahrt zum Bahnsteig vor dem Hauptbahnhof hat.
Einfach riesig: Leipzigs Hauptbahnhofshalle
Ich überquerte die vielspurige, breite Ringstraße und ging die Nikolaistraße südwärts, vorbei an der Nikolaikirche. Hübsch war sie, die Leipziger Altstadt mit ihren herausgeputzten alten Fassaden in der späten Abenddämmerung, aber sie war auch in zehn, fünfzehn Minuten durchschritten: Ich stand am Leuschnerplatz. Wohin nun?
Eine Viertelstunde später saß ich im »Bayerischen Bahnhof« an demselben »Katzentischchen« wie tags zuvor. Mit einem Sauerbraten und zwei Gosen im Bauch wanderte ich über Querstraßen zu jener Nord-Süd-Achse, die den Leuschnerplatz mit dem Connewitzer Kreuz verbindet, dann an dieser Durchgangsstraße nach Süden, vorbei an indischen Restaurants und Thai-Restaurants, die an diesem Samstagabend gut besucht waren. Etliche saßen auch schon draußen, die Luft war ja mild.
Der Weg wurde mir zu Fuß doch zu weit. An der nächstbesten Straßenbahnhaltestelle löste ich eine Fahrkarte – und wurde von einer jungen Frau angesprochen, die mit ihrem Freund unterwegs war und die goldfarbene PVC-Hose mit Jeansschnitt, die ich auf der Messe getragen hatte und jetzt immer noch trug, sehr schick fand. Ob ich jetzt noch tanzen ginge? Nein. Ich kritzelte ihr eilig – ihre Tram kam – meine Standnummer auf einen Mehrfahrtenschein, und sie versprach, mich morgen auf meinem Stand zu besuchen – aber nur wenn ich wieder die Goldhose anhätte! (Sie besuchte mich auch – vielleicht eine halbe Stunde vor Messeschluß, als fast alle Stände schon der Unsitte des zu frühen Zusammenräumens frönten.)
Haltestelle Connewitzer Kreuz. Ich stieg wieder aus, ging südwärts. Wieder die vergammelte Gegend mit den vielen Graffiti. Grüppchen von saufenden Jugendlichen, vielerorts lagen Flaschen und Dosen herum. Bei »Frau Krause« war's schon viel zu voll, schöner war's in der Kneipe »Goldfisch« bei Pilsner Urquell und Strong Bow Cider. Mein Tresennachbar kannte die Bücher von Slavoj Žižek, die der Laika Verlag direkt an der Grenze zu unserem Stand ausgelegt hatte. Die Leipziger Welt ist klein.
Zwischen elf und zwölf stand ich wieder an der Trambahnhaltestelle »Connewitzer Kreuz« – doch ein Bus kam, keine Tram, und brachte mich auf Umwegen an den Bayrischen Bahnhof. (Beim Überqueren dieser weiten, offenen Plätze mußte man vorsichtig sein – als ich mit S. unterwegs war, gingen wir bei Rot über einen völlig verlassenen Platz – plötzlich tauchte wie aus dem Nichts ein Polizeiwagen auf und fuhr mich fast platt. »Diesem Bei-Rot-über-die-Straße-Geher werden wir mal ein bißchen Angst einjagen«, werden sich die Beamten wohl gedacht haben.)
Um ein Uhr schaltete ich meine Nachttischlampe aus.

Sonntag, 18.3.2012
Wie jeden Morgen Marsch durch die riesige Glashalle, meinen Ausstellerausweis zeigend an den Zugangskontrollen zu den einzelnen Ausstellungshallen vorbei, auf dem Klo die Krawatte umbinden und weiter an den Stand.
Charon hatte (wie schon in Frankfurt) die zusammengeklappte Sackkarre an die Seitenwand des Stands gestellt, klein und unbedeutend zwar, aber doch ein Vorbote des Kommenden …
Nachmittags um vier die erwähnte Lesung der Autorengattin.
Verkaufen konnten wir wieder nur wenig, trotz des lebhaften Publikumsandrangs, da half auch eine erneute kleine Fessel-Vorführung Grimmes nichts.
Der Unrast Verlag hielt seine Unrast vorbildlich im Zaum, räumte nur ganz diskret vorzeitig auf, ließ aber alle seine ausgestellten Bücher bis 18 Uhr auf dem Regal, während ansonsten die armen Spätbesucher geradezu vergrault wurden, weil überall um sie herum nur noch Unruhe und Zusammenpacken war.
Was wir uns von der Messe erwartet hätten und ob wir wiederkämen, fragte Julietta von Kulturmaschinen. Wenigstens annähernd plus-minus Null rauszukommen, antworteten Grimme und ich übereinstimmend. Da dieses Ziel aber weit verfehlt wurde, kämen wir nicht wieder – das stand schon am Samstag fest.
Solch ein Ziel habe sie nie gehabt, erwiderte Julietta. Für sie sei die Messe immer eine Art Publicity-Veranstaltung gewesen. Klar, bei dem Vortrags-Theater, das die Linksverlage in den vergangenen vier Tagen veranstaltet hatten, lag eine solche Antwort nahe. (Ähnliches gilt sicher auch für Konkursbuch, Quer, aber sicher auch für die Frakturverlage).
(Im Blog des »Sezessions«-Rechtsverlegers meine ich einen ähnlichen Lernprozeß beobachten zu können, wie ich ihn durchmachte: Von anfänglicher Messebegeisterung hin zur Ernüchterung. Zuerst war er in Frankfurt, dann in Leipzig – jetzt ist er anscheinend auf gar keiner Messe mehr vertreten.)
Unrast gab all sein Messegut an einen Großhändler oder Verramscher. Wir nicht. Um 17.57 hatten die Charonesen alles zusammengepackt, verabschiedeten sich von mir, während ich noch den Schlußgong abwartete. Er kam sogar zweimal, einmal ohne Ansage und wenig später mit, von Beifall begleitet. Es war wieder einmal vorbei.
Ich nahm das Geld aus der aufklappbaren Schmuckkassette, die ich bei allen Buchmessen für diesen Zweck benutzt hatte, räumte so viele Bücher wie möglich in den (zuvor geleerten) Papierkorb und den aufklappbaren weißen Hocker, schob die Sitzkissen und herzförmigen Kissen in die Sitzschränke und die Fußmatte zwischen Papierkorb und Hocker, ließ den Schuhkarton mit den Visitenkarten und Prospekten im anderen Sitzschrank, zog mir meine Jacke über, setzte meine Hut auf und zog um 18.22 Uhr von dannen.
Wieder stieg ich am Hauptbahnhof aus, erkundete diesmal die westlicheren Teile der Altstadt. Etliche prächtige Bauten, für die man sich eigentlich tagsüber richtig Zeit lassen sollte. Erstaunlich häufig sah man in der Altstadt auch die Leuchtschrift »Kabarett« – und auch zwei Stripclubs sollte es geben, so teilte mir S. mit, aber meine Lust auf einen solchen war gering gewesen; da ließen wir es und beließen es beim Gitarrengeschrammel am Connewitzer Kreuz …
Mein Ziel war der »Thüringer Hof«, laut Reiseführer ein alter Gasthof mit sehr handfester Küche – aber ich blieb im »alten Rathaus« hängen – da schmeckte der Schweinebraten mit Kruste genauso lecker. (Die alten Germanen stellten sich übrigens das Paradies so vor, daß man an Odins Tafel beim »nie endenden Schweinebraten« saß.)
Und wohin nun weiter? Das »Dark Horse« hatte am Sonntagabend genauso zu wie die Gaststube des »Weißen Rosses«, und so landete ich im fast leeren Restaurant »Miss Hanoi« am Johannisplatz auf drei dunkle Biere. Notizen machen und dann ab ins Hotel. Ziemlich früh machte ich das Licht aus.
(Übrigens erscheint das »Weiße Roß« jetzt gar nimmer in der Google-Hotelsuche Leipzig, ebensowenig wie diverse Hotel in Messenähe. Merkwürdig.)

Montag, 19.3.2012
Wieder war ich 10 nach 8 allein im Frühstücksraum. Alle anderen waren schon weg. Der Wirt hatte mich am Vorabend noch gefragt, ob ich heute das Frühstück früher wünschte – aber wieso sollte ich mir mit der Abreise Streß machen?
Nein, nach dem Frühstück döste ich erst mal eine Runde weiter, pflegte mich in aller Ruhe, packte und saß 10 vor 10 in der Straßenbahn nach Südosten.
Mein Auto war nach fünf Tagen an der Prager Straße schon ziemlich eingestaubt – was aber nicht heißt, daß ich Feinstaubzonen gut finde. Großstadtkreuzungen sind nun mal keine Luftkurorte. (Leipzig hat meines Wissens auch keine solche Zone, zumindest sah ich keine Schilder.)
Gegen 11 Uhr rollte ich mit dem Auto in die Halle 5 der Buchmesse, kam aber wegen Hindernissen (Müll, Paletten, anderen Autos) nicht dicht an meinen Stand heran. Von weitem sah ich schon den im Gang stehenden leeren Papierkorb. Hat da jemand von den offiziellen Reinigungskräften den büchergefüllten Papierkorb als »Abfall« entleert?
Viel schlimmer: Ein Schlachtfeld erwartete mich. Die Fußmatte war weg. Der elegante Charles-de-Batz-Schuhkarton war weg, die darin befindlichen Prospekte und Visitenkarten von Geschäftsfreunden verstreut. Die zwei herzförmigen Kissen waren weg. Die ausklappbare Schmuckkassette meiner Mutter, die ich als Kasse benutzte, war weg (das Geld hatte ich gottlob herausgenommen). Das Geschenkband rund um die 10-Euro-Bücherpakete lag zerrissen am Boden, Bücher und Prospekte lagen in einem wüsten Haufen da, garniert mit Bananenschalen, Zigarettenkippen, angeknickt, angefeuchtet … Die Bücher im Klapphocker waren umgeräumt und an Zahl reduziert. Ich fotografierte das Chaos.
Sie habe das schon bei ihrem Dienstantritt um 6.45 Uhr so vorgefunden, erzählte mir eine Reinigungskraft. Sie habe gedacht: »Diese Ferkel – einfach wegfahren und so ein Chaos hinterlassen!« – habe dann die Bücher durchsucht, nichts für ihren Geschmack Brauchbares gefunden und sei dann fortgefahren mit ihrer Arbeit. Sie gab mir den Rat, zum Hallenmeister zu gehen.
»Das ist ja meine Fußmatte!« rief ich beim Hallenmeister, als ich zu Boden blickte und vor seinem Büroeingang eine Matte mit der Aufschrift »Hinknien, anklopfen und um Audienz betteln!« erblickte. Die habe man morgens im Gang gefunden, sagte mir der Hallenmeister, und ich könne sie gerne wieder mitnehmen. Ansonsten könne er höchstens eine Notiz machen, für eventuelle Versicherungsleistungen müßte ich zur Polizei gehen.
Tat ich natürlich nicht. Erstens habe ich keine Versicherung, zweitens kann die Polizei den Täter eh nicht ermitteln, drittens hatte ich schon alles aufgeräumt, und viertens genügte vielleicht das »Tatortfoto« für eine steuerliche Geltendmachung des Verlusts.
Der beläuft sich, selbst wenn ich nur die Druckkosten der geklauten oder beschädigten Bücher geltend mache, auf mindestens 150 Euro. Mache ich den Ladenpreis der Bücher geltend, ist es ein Vielfaches davon.
Waren die Täter schlichte Vandalen oder solche, denen die inhaltliche Ausrichtung des Marterpfahl Verlags nicht paßte (in dieser Rote-Socken-Ecke von lauter „gewaltfreien“, „emanzipatorischen“ Verlagen)?
Wenn es noch eines Arguments bedürfte, in Zukunft Buchmessen nicht mehr zu besuchen, dann wäre es mit diesem Vorfall geschaffen.
Ansonsten muß man sich darüber im klaren sein, daß die Besucher einer Buchmesse eben zu 90 % »stino« sind, d. h. »stinknormal«, keine SMer eben. Genausogut könnte ich in einer ganz normalen Zeitung Werbeanzeigen schalten, da wären die Streuverluste genauso groß. Besser ist's, man spricht über Online-Medien ganz gezielt die Zielklientel an, sofern das möglich ist.
Auch Charon würde nicht wiederkommen, das stand schon am Samstag fest.
Nach etlichen Stunden spritsparender Fahrt im Lkw-Tempo kam ich um acht Uhr abends wieder zu Hause an und ging erst mal auf eine Lasagne zum Italiener ...

Leipziger Nachgeschmack, Teil IV: Freitag, 16.3.2012

»Düt-düt-düt-düüüüt – es ist 6 Uhr!« tönte es aus dem Radio eines Nachbarzimmers, fast so, als stünde das Gerät in meinem Zimmer. Ah ja, das ist der Nachbar, der meckert, wenn ich um 20.30 Uhr meine Zimmertür etwas zu heftig ins Schloß werfe, dachte ich. Immerhin hörte er Deutschlandfunk, also einen Sender mit Niveau.
Am Augustusplatz wartete die Straßenbahn Nr. 16 schon, und Dutzende von Buchmessenbesuchern sprinteten herbei, um sie noch zu erwischen.
Auf der Messe machte ich während der vier Ausstellungstage die üblichen Spaziergänge, um zu sehen, was es alles so gab: Einige russische – z. T. staatliche – Verlage stellten ausschließlich Bücher in russischer Sprache und kyrillischer Schrift aus – aber so was sind die Leipziger ja gewöhnt.
Am Stand Saudi-Arabiens gab es neben den üblichen Schmuckausgaben des Korans wenigstens den einen oder anderen Titel in englischer Sprache.
Einen Stand serbischer Nationalisten habe es auch gegeben, an dem das Massaker von Srebrenica geleugnet wurde, erzählte mir später der Autor, der Freitag und Samstag an meinem Stand war.
Mehrere Stände nicht weit von unserem stellten nichts als Regale aus: flexible mit allen denkbaren Verstellmöglichkeiten und sehr schöne, aber auch teure aus Massivholz, für den Buchladen wie fürs Privathaus. Ich schlug einem der Regalaussteller vor, seine Regale an Verlage unterzuvermieten und dann außen ans Regal einen Zettel zu kleben: »Ach übrigens – das Regal gibt's auch zu kaufen!« Auf diese Weise könnten die Kosten erheblich reduziert werden. Der Regalaussteller sah das aber nicht so positiv. Ein Regalaussteller bot an »Bei Messeschluß reduzierter Preis!«, aber als ich dann am Sonntag nach 18 Uhr dort in der Nähe vorbeikam, wußte ich die genaue Standnummer nimmer, alles sah schon fertig eingepackt aus, und Platz hatte ich in meinem Kombi eh nimmer viel, hätte es auch eh bis Montag morgen stehenlassen müssen …
Ebenso erhielt ich während der Messetage die üblichen Besuche von Leuten, die etwas loswerden wollten, z. T. angemeldete, z. T. unangemeldete. Zwei Printing-on-Demand-Druckereien im Osten kenne ich jetzt, in Ungarn und in Polen. Eine davon trägt den schönen Namen »Totem« – wäre das nicht genau das Richtige für den »Marterpfahl«?
Charon empfahl mir eine für Prospektdruck besonders geeignete Druckerei.
Eine (angekündigte) Literaturagentin aus Berlin verkaufte mir einen Roman »Dumm fickt gut«, Marcel Feige alias Christoph Brandhurst wollte auch einmal vorbeischauen, falls ihm seine Termine (wahrscheinlich bei Schwarzkopf gleich um die Ecke) Zeit ließen – aber sie ließen nicht.
An eine Betonsäule zwei Meter von unserem Stand entfernt hatte jemand am Vortag zwei identische Plakate geklebt – und nicht nur dorthin: Überall auf der Messe und in der Stadt prangten sie. »Verteidigt Trotzki!« hieß es da. Eine trotzkistische Gruppe drückte im Plakattext unter dem großen Konterfei ihres Meisters ihr Bedauern darüber aus, daß es leider nicht gelungen sei, das Erscheinen der deutschen Ausgabe im Vorfeld zu verhindern. Eine andere Linke wollte das auch mal: Als öffentlich bekannt wurde, daß die taz-Journalistin Basha Mika eine kritische Alice-Schwarzer-Biographie veröffentlichen wollte, bekam Mika Dutzende von Anrufen prominenter Leute, das doch bitte zu unterlassen. (Mittlerweile wird die Schwarzer von der CDU fast mehr hofiert als von den Linken.) Vor einigen Tagen wiederum las ich auf dem linken Internetportal »Indymedia« einen Artikel von 2006, als noch etliche Rechtsverlage an der Leipziger Buchmesse teilnahmen, »die Verbreitung rassistischen Gedankengut könne nicht geduldet werden« – im Klartext: Die Linksverlage sollen ihre Revolutionsromantik verbreiten können, nicht aber die Rechtsverlage ihre nationale Romantik. Mit den Rechten wird nicht diskutiert, sie werden kriminalisiert und ausgegrenzt (»Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.«) Da halte ich es doch lieber mit dem guten alten George Orwell: »Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann sagen zu dürfen, was andere nicht hören wollen.«
Freiheit, die sie meinten: Montagsdemonstranten auf dem Augustusplatz, Herbst 1989
Jedenfalls forderten die Trotzkisten alle Interessierten dazu auf, sich um 18.30 Uhr in einem Hörsaalgebäude der Uni Leipzig einzufinden und der »Verteidigung Trotzkis« zu lauschen.
Um 17 Uhr gingen die Charonesen, weil sie heute abend einen Bondage-Workshop außerhalb der Stadt hatten. S. und ich hielten die Stellung, so gut es ging. »Eine halbe Stunde haben die noch Zeit, Zuschauer für ihren Vortrag zu gewinnen«, sagte S. und nahm eins der zwei Trotzki-Plakate von der Säule. Er tat's wegen des großen Trotzki-Porträts, ich hängte am nächsten Tag das andere Plakat ab – erstens war die Veranstaltung eh gelaufen, und zweitens ist nicht einzusehen, weshalb zur Verteidigung eines Massenmörders und Schreibtischtäters Reklame gemacht werden soll – denn wenn auch Trotzki ein wenig besser gewesen sein mag als Stalin, ein liberaler, bürgerlicher Demokrat war er ganz sicher nicht. (Ist Ihnen das auch schon mal aufgefallen, verehrter Leser, daß alle Ermordeten gewissermaßen »kanonisiert« wurden, »heiliggesprochen« sozusagen? Der US-Präsident Lincoln wurde ermordet, also umgibt ihn quasi ein Heiligenschein, egal was er zuvor an Grausamem gemacht hat. Selbst überzeugte Nazis sollen nach dem fehlgeschlagenen Attentat vom20. Juli 1944 gesagt haben: »Schade, daß er nicht tot ist – denn dann würde die Historie ewig im Zweifel liegen, ob er nicht doch noch ein Augustus geworden wäre« – denn auch der war in seiner Jugend ein grausamer Widerling. Wenn man den Kommunistenführer Thälmann angreift, heißt es: »Aber der ist doch im KZ umgekommen!« Gewiß – aber wäre er an die Macht gekommen, hätte er mitgeholfen, ein stalinistisches Regime zu errichten, das unzähligen anderen den Tod gebracht hätte …)
18 Uhr, Gong: »Die Leipziger Buchmesse schließt für heute!« S. und ich verhängten unseren Stand wie von den Charonesen angewiesen mit einer undurchsichtigen Plastikplane. Der Umsatz heute war gerade mal halb so hoch gewesen wie gestern.
Anschließend fuhren wir mit der gesteckt vollen Straßenbahn bis zum Leuschnerplatz und waren 10 Minuten später am Eingang des Lokals Bayerischer Bahnhof. Leider sei kein Platz mehr frei, beschied uns der Chef, der in seinem bayrischen Trachtenjanker höchstpersönlich am Eingang stand, und so sei es fast an jedem Abend. Nach draußen – wie etliche andere – wollten wir aber nicht, dazu war es doch noch ein wenig zu frisch, trotz des frisch hereingebrochenen Frühlings.
Ein rundes, hohes Tischchen mit zwei Barhockern gleich am Eingang war aber noch frei – genug, um zu essen und Gose zu trinken. Zum Trost spendete der Chef, ein Frrrranke, uns je ein Freibier, während er uns die Abenteuerstory seines »Lokalbahnhofs« erzählte. Mal habe die Bahn die Renovierung und den Umbau den Bahnhofs gewollt, mal nicht; er mußte kämpfen und bis zum obersten Bahnchef persönlich vordringen, um die Sache doch noch zu einem guten Abschluß zu bringen.
Nach dieser Story ließen wir uns Sauerbraten und Kalbshaxe schmecken, und ich beteiligte mich noch an S.' riesiger Kalbshaxe, S. konnte sie gar nicht alleine zwingen – nur ich war danach randvoll, wenn auch zufrieden.
Anschließend noch »Dark Horse«. Mehr als Bier für mich und eine Apfelschorle für S. war nicht drin – für mich nicht, weil mein Magen kurz vorm Überlaufen war, für S. nicht, weil er noch fahren mußte. Ich machte S. auf die Ansammlung von Hühnern aufmerksam, die das Getränkeregal hinter der Bar bevölkerten. »Der ist einer von uns!« staunte S. – in der Tat: Der Wirt wäre für eine Aufnahme in den Tübinger Satiriker- und Literatenstammtisch »Unser Huhn« geeignet.
Als wir schon im Begriff waren zu gehen, fand sich am Tresen sogar noch jemand, der bei der Trotzki-Veranstaltung dabeigewesen war und nun sein Idol mit glühenden Worten verteidigte, wohl in dem Glauben, nur weil Trotzki ein Opfer Stalins war, sei er ein guter Mensch gewesen. Außerdem schien er zu glauben, jeder Wessi wisse gar nichts über Trotzki – ein Irrtum natürlich.
Ich konnte nur noch ganz gemächlich gehen, so voll war ich – nicht mit Alkohol, sondern mit Speis und Trank ganz allgemein. Gemächlich gingen S. und ich zum Augustusplatz, wo er Abschied nahm, er stieg in die 16 zu seinem am Messegelände geparkten Wagen, wollte heute abend noch zu Verwandten, ein bis zwei Autostunden entfernt.
Ich ging wieder langsam zurück, zurück in mein Hotel, und löschte schon vor 22 Uhr das Licht.

26.3.12

Leipziger Nachgeschmack, Teil III: Donnerstag, 15.3.2012

Sechs Uhr morgens. Das Rauschen des Verkehrs nahm zu, die Vögel fingen an zu zwitschern. Die Stadt erwachte. Ich auch. Von einem der Nachbarzimmer war ein Fernseher zu hören. Ich machte mir ein paar Reisenotizen und döste weiter bis zehn vor acht.
Im Frühstücksraum mußte man sich die Leipziger Volkszeitung brüderlich teilen – plötzlich waren mehrere Menschen hier anwesend. Ein Frühstücksbüffet gab's nicht, sondern nur ein paar Käse- und Wurstscheiben, einen Joghurt und einen Klecks Marmelade sowie drei Brötchen für jeden, aber das war ja auch ausreichend für jeden und hält bei etwas gutem Willen vor bis zum Abend. Lieber so und nur 31 Euro pro Nacht bezahlen als luxuriöser und 50 Euro pro Nacht bezahlen – oder noch mehr. Auf der Rechnung waren übrigens die Übernachtung und das Frühstück getrennt ausgewiesen, denn die Übernachtung wird ja seit Ende 2009 nur noch mit 7 % Mehrwertsteuer berechnet – dank der Klientelpolitik der FDP.
Gegen neun Aufbruch zur Straßenbahn. Nur mit Mühe bekam ich am Augustusplatz noch einen Sitzplatz in der 16. Das war die Kehrseite meines zentral gelegenen Hotels: Die Straßenbahn war oft schon voll, wenn sie kam, und am Hauptbahnhof, eine Station weiter, wurde sie noch voller. Ganz im Gegensatz zu Frankfurt hörte man in dieser Straßenbahn kaum jemals eine fremde Sprache, und »Kopftuchmädchen« gab's auch keine – dafür aber jede Menge »Cosplayer«, darunter auch ein paar männliche.
2700 Lesungen soll's heuer in Leipzig gegeben haben, das sei europäischer Rekord, hörte ich nach der Messe im Radio. Am Samstag hätten Sie, verehrter Leser, z. B. eine Lesung des polnischen Schriftstellers Eugeniusz Tkaczyszyn-Dyck genießen können, an einem anderen Tag »Vorzelt zur Hölle« (Geschichten über Campingurlaube) und wieder an einem anderen Tag eine Geschichte, in der ein 14jähriges Leipziger Mädel in die DDR des Jahres 1984 zurückversetzt wird (da dürften ihr gehörig die Ohren langgezogen worden sein, wenn sie sich damals so ausstaffiert hätte wie heute diese Cosplayerinnen).
Überall in der Stadt gab's diese Lesungen und Veranstaltungen, auch Frau Gehrke von Konkursbuch veranstaltet ihre »Love bites« gleich zweimal an verschiedenen Orten in der Innenstadt, Kulturmaschinen macht was in der Stadt – aber auch auf der Messe selbst ertönen allerorten Musik und rezitierende Stimmen. Auf der Messe einer Lesung zu lauschen sei aber nicht so schön, sagte mir jemand, das Hintergrundrauschen störe.
Keine fünf Meter von uns entfernt halten die Linksverlage auf einer gemeinsamen Bühne Vorträge und Lesungen ab, z. B. von Jan Myrdal, einem einst von mir geschätzten schwedischen Autor, Sohn der Vorzeige-Sozialdemokraten Gunnar und Alva Myrdal und aufmüpfig gegenüber seinen Eltern – jetzt hingegen gab er (am Samstagmorgen) nur noch dogmatische Vorlesungen über die revolutionären Bewegungen in Indien (»Roter Stern über Indien«).
Meine Mitausstellerin N. von Charon fand es gut, daß diese Vorträge in unmittelbarer Nähe stattfanden, »denn das zieht doch Leute an und somit auch zu uns«. Ich bezweifelte, daß die Leute, die zu solchen Vorträgen strömten, eine mögliche Klientel von uns waren ...
Rein in die Straßenbahn am Augustusplatz, nordwärts zum Hauptbahnhof und rund ein Dutzend Stationen weiter nordwärts, bis kurz vor der Autobahn die Endstation Messe erreicht ist. (Die S-Bahn hält 500 m entfernt.)
Von der S-Bahn-Haltestelle zog schon ein Menschenstrom, darunter viele Cosplayer, Richtung Messe (dort gab es auch einen »Waffencheck«), an der Trambahnendhaltestelle verstärkte sich noch der Menschenstrom, der sich in die riesige, gläserne, tunnelförmige Haupthalle der Messe ergoß, in deren Mitte man 20 m hohe Palmen wachsen lassen könnte.
Bombastisch: Die Eingangshalle der Messe Leipzig
Diese Halle wurde schon um neun geöffnet, die Zugänge von dort zu den einzelnen Ausstellungshallen allerdings waren noch bis zehn von Wärtern abgesperrt, bis der Gong ertönte und die Massen die Wärter einfach beiseite schoben. In den Hallen wurde man allerdings schon etwa 7 bis 8 Minuten vorher auf die Öffnung aufmerksam gemacht, nicht erst 5 Minuten vorher wie in Frankfurt. Der Schlußgong war dafür immer um Punkt 18 Uhr, nicht früher.
In Abwesenheit der meisten Fachverlage war die Leipziger Buchmesse eine einzig auf gemütlichen Lesegenuß ausgerichtete Messe, so gemütlich, daß das gemütlich-behäbige Bild eines lesenden Mannes im Sessel auf dem Frame der Messe-Website viel zu viel Platz wegnimmt, so daß nur unten viel zu wenig Platz bleibt für das, was man wirklich wissen will.
Macht sich überall breit: der allgegenwärtige lesende Leipziger
Seit 1998 finde die Messe in den neuen Messehallen statt, las ich. In den alten Messehallen südöstlich vom Stadtzentrum sei eine Steigerung des Umsatzes nicht mehr möglich gewesen, hieß es. In den neuen Messehallen hingegen sei er gleich wieder gewachsen, der Umsatz, um soundso viel Prozent. Um wieviel Prozent die Kosten der Stadt angestiegen waren, wurde leider nicht verraten …
Von Anfang an schoben sich ganz normale »Nichtfachbesucher« durch die Gänge – warum darf man dann aber nicht verkaufen? Ich tat es natürlich trotzdem (mit Messerabatt) – zumal ich zunächst gar nichts von dem Verkaufsverbot wußte. 130 Euro Umsatz hatte ich gemacht, als um 18 Uhr der Schlußgong ertönte. Wenn es sich noch auf 200 bis 250 Euro pro Tag steigern würde, würde ich diese Buchmesse mit geringem Verlust verlassen und könnte nächstes Jahr wiederkommen. (Meine Standhälfte kostete rund 500 Euro, das Hotel rund 190 Euro, das Benzin vielleicht 100 Euro, und für Speis und Trank und Sonstiges gingen bestimmt 140 Euro drauf.)
Zwischendurch kam S. einmal, informierte mich über diverse interessante Stände von Verlegern aus der Esslinger Gegend, die er besucht hatte. Ich war inzwischen beim Stand des Bundes für deutsche Schrift und Sprache gewesen und hatte ihnen die Fraktur-Sonderausgabe des »Hauslehrers«, eine meiner Messe-Neuerscheinungen, gezeigt, ihnen ein Exemplar dagelassen. (Aber es war ihnen zu unkeusch, das erfuhr ich – nicht zu meiner Überraschung – zwei Tage später.)
Einen weiteren Fraktur-Verlag gebe es noch, so S., die »Literaturmühle«, betrieben und gegründet von einem wahren bayrischen Urviech. Das war der Verlagsgründer auch wirklich (1,90 m groß und fast ebenso breit, Vollbart), aber daß er eine Frau vom Niederrhein geheiratet hatte, das hatte ihm einige seiner Kumpel übelgenommen. Ich ließ ein Exemplar meines Fraktur-Hauslehrers da.
Inzwischen war die Sonne herausgekommen, es war schon fast so mild wie im heimischen Südwesten.
18 Uhr: Schlußgong. In der gesteckt vollen Straßenbahn fuhr ich (stehend) südwärts. Beim Hauptbahnhof verließen viele die Straßenbahn – nur um wieder fast ebenso vielen Zusteigenden Platz zu machen. Noch eine Station weiter bis zum Augustusplatz, und als ich mich endlich im »Weißen Roß« auf einen Stuhl plumpsen ließ, war es 19 Uhr. Eigentlich müßte S. jetzt auch zur Tür reinkommen, aber er hatte mich schon darauf vorbereitet, daß es später werden könnte.
Es wurde 19.20 Uhr. Noch viel erschöpfter als ich ließ sich S. auf einen Stuhl mir gegenüber plumpsen, tippte noch online drahtlos an seinem Artikel weiter – dann ließen wir beide uns unser Schnitzel schmecken.
Anschließend zogen wir zum Leuschnerplatz am Südrand der Altstadt und stiegen dort in eine Trambahn Richtung Süden, Richtung Connewitzer Kreuz, in dessen Nähe es laut Reiseführer nette Kneipen geben sollte. Fast hätten wir 40 Euro zahlen müssen, denn wie der uns kontrollierende Beamte sagte, seien die Ausstellerausweise und Presseausweise nur zwei Stunden vor und nach der Messe gültig und auch nur für die direkte Fahrt zur und von der Messe – aber wenn es bei einem Journalisten mal länger dauert, weil er eine Reportage über einen bestimmten Verleger schreibt, ja dann …
Die Gegend rund ums Connewitzer Kreuz war ziemlich vergammelt – zumindest bis in drei Meter Höhe war alles dermaßen mit Graffiti verschmiert, daß Berlin-Kreuzberg damit verglichen sauber war. »Nazis raus!« konnte man besonders häufig lesen.
In einem Lokal »Waldfrieden« zogen wir bei Live-Gitarrenmusik noch drei Bier, dann fuhren wir gegen Mitternacht mit der wahrscheinlich letzten Tram wieder Richtung Stadtzentrum, wo ich am Augustusplatz ausstieg und S. in die Linie nach Südosten umstieg.
S. hatte noch eine weite Trambahnfahrt vor sich und danach einen weiten Fußweg (auf dem er sich prompt wieder verirren sollte) zu seinem Hotel in Markkleeberg, ganz im Süden.

25.3.12

Leipziger Nachgeschmack, Teil II: Mittwoch, 14.3.2012

Um 8.10 Uhr war ich der einzige Gast beim Frühstück. Morgen würde ich nicht mehr so allein sein. Die Leipziger Volkszeitung meldete, die Buchmesse beginne mit neuen Rekorden. Die Zahl der teilnehmenden Verlage stagniere zwar mit gut 2000, aber dafür gebe es erstmals mehr als 1000 Einzelstände.
Offenbar machten es viele so wie Charon und ich: Sie teilten sich einen Stand. Und wie viele Verlage nahmen an der letzten Frankfurter Buchmesse teil? So um die 7000, glaube ich. Daran sieht man, wieviel kleiner die Leipziger Buchmesse ist. Die großen Fachverlage mit Geld (Jura, Naturwissenschaften, Steuern) fehlten, soweit ich sehen konnte, weitgehend, ebenso die billigen Druckereien aus China oder Osteuropa. Die machten es sich einfacher – sie schickten einfach (wie schon häufig in Frankfurt) ihre Leute von Verlagsstand zu Verlagsstand. (Jeder Verleger ist umlagert von Angeboten von Druckereien.)
Entspannter und lockerer als die Frankfurter war die Leipziger Buchmesse allemal, mehr Platz, breitere Gänge, weniger Gedrängel, billigere Stände (und auch solche Werbematerialien wie von der Decke hängende Banner waren viel billiger), billigere Hotels – aber auch weniger Umsatz, das bekamen wir zu spüren.
Vier Tage statt fünf, statt von 9 Uhr bis 18.30 Uhr geht es nur von 10 bis 18 Uhr – da mußte man abends nicht so zeitig ins Bett, und morgens konnte man den Tag entspannter angehen lassen. Erst etwa um 9 pflegte ich mein Hotel zu verlassen, um zum vielleicht 400 m entfernten Augustusplatz zu gehen und dort die Straßenbahnlinie 16 Richtung Messegelände zu besteigen.
Das Hotel »Weißes Roß« liegt passenderweise in Leipzigs altem Buchdrucker- und Graphikerviertel (südöstlich vom Zentrum). Hier druckte Philipp Reclam die ersten Bände seiner billigen »Universalbibliothek« und Arnold Brockhaus seine Lexika-Bände, hier gestaltete der Insel Verlag seine schönen Jugendstil-Bände, hier lebten und wirkten Grieg, Schumann, Mendelssohn-Bartholdy, hier stach und druckte Giesecke & Devrient seit 1852 Banknoten. Wer mag, kann sich im Buch des Journalisten Klaus W. Bender »Geldmacher, das geheimste Gewerbe der Welt« über die diskrete Welt der Banknotendrucker (die keineswegs immer staatliche Firmen sind!) informieren.
Nach 1945 wurde Giesecke & Devrient ein Volkseigener Betrieb – die in den Westen emigrierten Chefs und Mitarbeiter mußten in München völlig neu anfangen und taten es auch erfolgreich.
Die 1912 gegründete Deutsche Nationalbibliothek ist auch nicht weit. Vor 1945 war Leipzig, nicht Frankfurt, DIE Buchhandels- und Verlagsstadt, und sie beherbergte der Welt größte Buchmesse sowie den Börsenverein des deutschen Buchhandels.
Doch dann schlug der Bombenkrieg alles kurz und klein, und den Großteil dessen, was nach 1945 noch übrig war, vergraulten die Kommunisten in den Westen. Eine Jubiläumsbroschüre des Buchgrossisten KNV schilderte vor Jahren, wie das ablief: Des öfteren bekam KNV von russischen Offizieren den Auftrag, z. B. 100.000 Propagandabroschüren zu drucken. Wenn der Chef dann darauf hinwies, daß er das dazu nötige Papier nicht hatte, bekam er nur zu hören: »Du machen Sabotage? Du wollen nach Sibirien?« 1947 hielt er den Druck nicht mehr aus (Enteignung und/oder Verhaftung schienen eh nur noch eine Frage der Zeit), setzte sich mit der Familie nach Westberlin ab und ließ sich von den Amis in den Westen ausfliegen – und baute dort seinen Betrieb neu auf.
Oft war es so, daß nur ein Teil der Verlagsbelegschaft in den Westen »rübermachte«, der Rest jedoch blieb, so daß es heute viele »doppelte« Verlage gibt – Reclam West und Reclam Ost, Diederichs West und Diederichs Ost, Teubner Leipzig und Teubner Stuttgart …
Die in den Westen geflohenen Verlage begründeten dann in Frankfurt einen neuen Börsenverein, eine neue Nationalbibliothek, eine neue Buchmesse (erstmals 1949 in der frisch wiederaufgebauten Paulskirche).
Was damals in den Westen vergrault wurde, kehrte nach 1989 meist auch nicht mehr zurück – oder nur mit einer Niederlassung. Das Hauptquartier und die meisten Arbeitsplätze, das blieb im Westen. Insofern haben die Kommunisten bleibenden Flurschaden angerichtet, nicht nur im Buchhandel, auch in vielen anderen Branchen. (»Aufstieg und Niedergang der Buchstadt Leipzig« hieß ein ganz in der Nähe unseres Standes feilgebotener neuer Titel – aber den kauf ich mir erst jetzt.)
Ein grauer und kalter Tag empfing mich, als ich auf die Straße trat. Die Krokusse in den öffentlichen Anlagen waren noch nicht erblüht, im Gegensatz zu Nehren. Zu Fuß wanderte ich nordwärts zum Johannisplatz, vielleicht 200 m östlich des Augustusplatzes. Ich passierte das Stammhaus von Giesecke & Devrient, umgeben von Zäunen und Überwachungskameras, die Erdgeschoßfenster vergittert – sie sind also wieder zurückgekehrt an ihren Gründungsort, aber das Herz der Firma schlägt jetzt woanders, im Westen.
Wenig später saß ich in der Straßenbahn Richtung Südosten. Vorbei am alten Johannisfriedhof – es gibt sogar eine Führung »Die Verlegergräber auf dem Johannisfriedhof«. Ein abbruchreifes großes Haus eines Buchgroßhändlers aus DDR-Zeiten zog vorüber. Das alte Messegelände, 1996 durch das neue abgelöst. Das Völkerschlachtdenkmal, ein mächtiges, weithin sichtbares Trumm, 1913 zum hundertjährigen Jubiläum des Siegs über Napoleon errichtet.
Rein in mein Auto, durchs Stadtzentrum, nordwärts – und vielleicht eine halbe Stunde später rollte ich aufs Messegelände. Es war 12 Uhr.
In Leipzig darf man in die weiten, ebenerdigen Messehallen mit dem Auto einfahren – was ich aber gar nicht in Anspruch nahm; ich wäre wegen der vielen anderen Autos wohl auch nicht bis zu meinem Stand gekommen. Um den zu finden, brauchte ich mich eigentlich nur dorthin zu begeben, wohin von der Decke eine riesige rote Hand zeigte, denn dort sollten allerlei Lesungen diverser Linksverlage stattfinden. Man hatte uns nämlich in die »Rote-Socken-Ecke« gesteckt, gleich neben den Laika Verlag, benannt nach dem bedauernswerten Hündchen Laika, das die Sowjets 1958 ins All schossen und das nach nur wenigen Stunden starb. Chef des Laika Verlags ist Karl-Heinz Dellwo, Ex-RAF-Terrorist und (das erfuhr ich so nebenbei) Jugendfreund meines Mitausstellers G..
Vis-à-vis davon der Unrast Verlag, dessen Buch "(R )echte Kerle – über die Kumpanei der Männerrechtsbewegung" meinen Autor und Feminismuskritiker Arne Hoffmann Monate zuvor erzürnt hatte. Gegenüber davon der Kulturmaschinen Verlag des SMers und DKPisten Leander Sukov, daneben Pahl-Rugenstein und Graswurzelrevolution, und das Neue Deutschland und die Junge Welt waren auch nicht fern, ebensowenig wie Konkursbuch Verlag und Quer Verlag.
Ich konnte mir schon denken, was die Planer der Buchmesse sich gedacht hatten: Abweichende Sexualität? Na, die stopfen wir mal in die links-grün-alternative CSD-,Queer- und Sozenecke.
Und so waren wir hier wieder nicht in der Halle 3, die auch in Leipzig die Halle der großen belletristischen Publikumsverlage war, sondern wieder in einer Art »Randlage«. Hinter uns waren ein paar leere Wände und dahinter Unternehmen, die für Buchverlage die Produktion von Ebooks anboten – nichts fürs allgemeine Publikum.
Fürs allgemeine Publikum war dann schon eher der Stand gegenüber von uns was, ein unsympathischer, aggressiv verkaufender Verlag lustiger Ansichtskarten, ein Verlag, der seine Postkartenständer ständig weiter in den Gang hinausschob als erlaubt und sich deswegen wiederholt Rüffel von der Messeaufsicht einfing – und auch deswegen, weil er überhaupt verkaufte. Ob er denn eine Verkaufsgenehmigung (gebührenpflichtig) habe? Die brauchte man nämlich, um überhaupt verkaufen zu dürfen – ansonsten war es nur auf der Messebuchhandlung erlaubt, auf den Ständen erst am letzten Tag (Sonntag) ab 15 Uhr. Ein korrekter Schweizer Verlag wollte denn auch meiner Mitausstellerin N. am Sonntagmorgen ein von ihr gewünschtes Buch noch nicht verkaufen, und am Sonntagnachmittag konnte man an manchen Stellen Schilder mit der großen Aufschrift »Wir verkaufen« lesen – und ganz klein darunter: »mit Messerabatt«.
Wie gesagt, Linksverlage gab es reichlich – Rechtsverlage wie Sezession oder Junge Freiheit glänzten aber durch Abwesenheit.
Wegen der Abgase der Autos in der Halle standen die Tore sperrangelweit offen. In ihrer Nähe zog's wie Hechtsuppe, und auch weiter drinnen in der Halle war es kalt. Einmal mußte ich meine Arbeit unterbrechen und auf dem Klo am Heizkörper meine Socken anwärmen, sonst hätte ich es vor lauter kalten Füßen nicht mehr ausgehalten.
»Kulturmaschinen« war mit einem großen Kombi bis direkt an seinen Stand gefahren; ich hatte draußen auf dem Parkplatz geparkt und schob meine Bücher und sonstigen Sachen in drei Fuhren auf einem Handwägelchen an den Stand. Die Regalbretter waren schon fix und fertig in die Wand gesteckt, das mußte man hier in Leipzig nicht selbst machen, vier Strahler waren auch schon da und sorgten für helles Licht – so war ich bald fertig und ging noch ein wenig umher und sah mich um und war um 15 Uhr schon im Begriff zu verschwinden, als die Charonesen auftauchten. Da blieb ich natürlich noch auf ein Schwätzchen …
Rein in den Wagen, raus aus der Messe, rauf auf die Autobahn: Auf der A 14 und der A 38 umfuhr ich Leipzig im Osten, fuhr dann wieder von Südosten in die Stadt und parkte wieder an der Prager Straße, fuhr wieder mit der Straßenbahn ins Zentrum, döste im Hotel wenig vor mich hin, bis um 17 Uhr das Hotelrestaurant öffnete und wieder Gelegenheit für ein schönes Schnitzel mit Kartoffelsalat war.
Für die feierliche Messe-Eröffnung im Gewandhaus sollte ich mich ja eigentlich in Schale werfen – aber Krawatte würde ich in den nächsten Tagen noch oft genug tragen; so beließ ich es bei meinem schwarzen Rollkragenpulli.
Der Süden des Augustusplatzes mit dem Mendebrunnen, dem Gewandhaus und dem 29 stöckigen City-Hochhaus, bei seiner Fertigstellung 1972 das höchste Haus Deutschlands
Wurde man vor dem Eintritt in die Frankfurter Eröffnungsveranstaltung geradezu flughafenmäßig durchgecheckt, so genügte hier ein kurzer Blick auf meine Eintrittskarte, und ich war drin. Um 19 Uhr sollte es losgehen.
Internationales Publikum gab's hier weniger als in Frankfurt; gerade mal eine kroatische Ministerin und ein georgischer Minister wurden als Ehrengäste begrüßt, kein »Herrscher von Schardscha« und kein Bundesaußenminister. Selbst der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich wurde von einem Staatssekretär vertreten, er war mit einem defekten Flugzeug in Frankfurt hängengeblieben.
Der Preis für europäische Verständigung wurde an zwei Historiker (einen Briten, einen Amerikaner) verliehen, die über das Wüten Hitlers und Stalins geschrieben hatten. Nicht das originellste Thema, gewiß, aber z. B. mit den »Memorialmonstranzen von Ingolstadt und Klosterneuburg« kann man keinen Blumentopf gewinnen, geschweige denn einen Preis für europäische Verständigung – ebensowenig wie mit der »Erstellung und Optimierung von Algorithmen zur Messung von Augenbewegungen mittels Video-Okulographie-Methoden«.
Die Preisträger und noch einige andere sprachen nett und meist interessant, der aus Frankfurt eingeflogene Vorsteher des Börsenvereins Gottfried Honnefelder intonierte sein Lieblings- und Leit(d)motiv »Piraten und sonstiges Internet-Gesocks klauen den Verlegern die Urheberrechte«, und zwischen einigen der Reden kamen die feierlich gewandeten Gewandhaus-Musiker herein und spielten den einen oder anderen Satz eines klassischen Stücks (Richard Strauss), vor der vorletzten Rede (der über die Greuel Stalins und Hitlers) passend ein getragen-tragisches Adagio, zum Schluß ein donnerndes Finale, und danach leerte sich das fast bis auf den letzten Platz besetzte Gewandhaus erstaunlich schnell … Wohin rennen die alle? fragte ich mich. Ist doch klar: Zum kalten und warmen Büffet!
Das hatte es in Frankfurt nicht gegeben: Freibier und jede Menge salzige und süße Häppchen, Tiegelchen mit Cremes und Puddings, heiße Hühnerschenkel – und sogar einen riesigen Kessel mit Currywurst gab's; die dafür typischen Wellpapptellerchen hatte man in Porzellan nachgebildet.
Die kleinen Stehtischchen waren aber alle schon mit schwatzenden Grüppchen belegt, zwischen die kein Blatt Papier mehr gepaßt hätte, geschweige denn meine Wenigkeit. Und so ging ich, nachdem ich mein Glas und meine Teller lange genug im Stehen balanciert hatte, wieder auf die Straße Richtung Hotel. Es wurde Zeit, dort auf S. zu warten.
»Könnet Sie mir vielleicht sage, wo die Auguste-Schmidt-Straße ist?« wurde ich nach 200 Metern von der Seite angequatscht. Es war S.. Seit langem schon irrte er umher, der Dienstwagen seiner Redaktion hatte kein Navi, und den neuen Namen der alten Roßstraße (nämlich Auguste-Schmidt-Straße) kannte offenbar keiner der Passanten.
Gemeinsam gingen wir durch dieselbe zum Bayerischen Bahnhof; ich beließ es bei zwei Gosen, S. verdrückte einen Sauerbraten. Gemeinsam gingen wir die Nürnberger Straße nordwärts, »heimwärts«, S. zu seinem Auto und ich die Auguste-Schmidt-Straße, aber noch nicht ins Hotel, sondern erst mal noch ein paar Schritte weiter ins »Dark Horse«.
Um 0.25 Uhr knipste ich das Licht aus.

Leipziger Nachgeschmack, Teil I: Dienstag, 13.3.2012

Tag I: Dienstag, 13.3.2012
Um 10 Uhr wollte ich weg sein, 11.40 Uhr wurde es schließlich. Kurzer Zwischenstop in Bernhausen auf den Fildern: bei einem Motorradhändler Fahrzeugbrief und Zweitschlüssel meiner verkauften Harley abgeben. Eine dreieinhalbjährige Episode war zu Ende. Kleines Bierchen in der Cafeteria des großen Motorradhändlers. Jetzt konnte die Messereise richtig beginnen.
Autobahn A 81: Heilbronn, Würzburg. A 71 nordwärts. Schweinfurt, Nordbayern, Thüringer Wald. Ein gewaltig langer Tunnel nach dem anderen, der längste über 7 km lang. Im Wintersportzentrum Oberhof lagen hoch oben an den Hängen noch dürftige Schneereste, und die Berggipfel waren in Wolken verborgen.
Erfurt. Jena. Allmählich wurde es dunkel. Tanken. Irgendwann fuhr ich an diesen Schildern vorbei, die bislang noch jedem unsympathisch waren, den ich danach fragte: »Sachsen-Anhalt, das Land der Frühaufsteher«. Nach etlichen Stunden spritsparend gemächlicher Fahrt fuhr ich südlich an Leipzig vorbei, verließ das »Land der Frühaufsteher« und rollte in den Freistaat Sachsen.
Ausfahrt Leipzig Südost. Von Südosten her fuhr ich über die Prager Straße nach Leipzig hinein und lenkte meinen Kombi in die erstbeste Parkbucht. Rings um mich herum größtenteils unsanierte Exemplare jener prunkvollen Kaiserzeitbauten, an denen Leipzig so reich ist. Die Stadt sei damals regelrecht explodiert, sprunghaft gewachsen, erzählte man mir; sie platzte schier vor Stolz und Wohlstand. Heute wäre man froh, wenn man die sanierungsbedürftigen riesigen Häuser an den Mann bekäme … Die FAZ berichtete vor Jahren schon darüber, daß Studenten im Gegenzug für kleine Sanierungsarbeiten in solchen Häusern oft gratis oder fast gratis wohnen könnten …
Rein in die Straßenbahn mit meiner Reisetasche und mit meiner Aktentasche, darin alle Wertsachen. 2,10 Euro kostet der Fahrschein. Der Ausstellerausweis der Messe war wohl nur während der Messetage gültig, und einen speziellen Auf- und Abbauausweis (wie in Frankfurt) kannte man hier nicht (und auch bei dem war es zweifelhaft, ob er als Fahrausweis gültig war). Ich hatte gut daran getan, so weit außen zu parken, das sah ich während der Fahrt, denn weiter drinnen gab's entweder keine Parkplätze mehr, zumindest nicht entlang der Hauptstraße – oder nur gebührenpflichtige.
Rund zehn Haltestellen weiter hatte ich den Augustusplatz am Ostrand der Altstadt erreicht, einen weiten Platz, der im abendlichen Lampenschein eindrucksvoller aussieht als bei Tageslicht: An seinem Nordrand die Oper, im Süden das Gewandhaus und im Westen das Hauptgebäude der Universität, für das die Kommunisten 1968 die Paulinerkirche sprengten. Seit seiner Neugestaltung 1998 wird die alte Silhouette der Paulinerkirche in der Fassade des neugestalteten Uni-Gebäudes wenigstens angedeutet.
Das Opernhaus am Nordende des Augustusplatzes
Im Wendeherbst 1989 fanden hier auf dem Augustusplatz die Abschlußkundgebungen der Montagsdemonstration statt, nachdem diese zuvor auf der Ringstraße rund um die nur etwa einen Quadratkilometer große Altstadt marschiert waren.
Ich faßte meine Reisetasche und meine Aktentasche und den ausgedruckten Google-Stadtplan der Straßen, die ich jetzt brauchte, und ging südostwärts, vorbei an prächtigen Gebäuden (»Wer hat denn die gestaltet? Albert Speer?« fragte mich anderntags der Journalist S.), durch einen Durchgang – und fand mich in der Auguste-Schmidt-Straße (vormals Roßstraße) wieder: Unebene DDR-Gehwegplatten, teilweise abbruchreife, leerstehende Gebäude links und rechts – gleich hinter der glänzenden Fassade Leipzigs.
Kurz nach acht stand ich im Lokal und Hotel »Zum weißen Roß« und wurde vom Wirt begrüßt: »Haben Sie also doch noch hergefunden!« Momentan – und auch beim Frühstück am nächsten Morgen – schien ich der einzige Gast zu sein. Der Wirt am Mittwochmorgen: »Die kommen alle erst heut abend, dann wird's voll.«
Zu den Hotelzimmern ging es über eine Seitentreppe durch das Haus gleich nebenan, in dem auch etliche Privatleute wohnten. Eine Etage war für die Hotelgäste reserviert. Knarrende Stiegen und Dielen, dreieinhalb Meter hohe Räume, Etagendusche und Etagenklo. Einen Fernseher gab es in meinem Zimmer nicht – wozu auch? Ich verreise ja nicht zum Fernsehen.
Die Speisekarte im »Weißen Roß« war überschaubar: rund ein halbes Dutzend Gerichte. Ich ließ mir ein Schnitzel mit Kartoffelsalat schmecken. Es war ein Genuß, statt des »schwäbischen Kartoffelsalats« (mit Essig und Öl) mal wieder den anderswo üblichen (mit Mayonnaise) zu essen. Dazu tschechisches Břežnak-Pils vom Faß. (In unseren Nehrener Dorfladen schaffte es vor Jahren einmal ein Kasten Břežnak-Doppelbock – rund 10 % Alkohol –, und während die Dorfkundschaft nur sehr zögernd Fläschchen um Fläschchen kaufte, kaufte ich gleich einen ganzen Kasten.)
»Dark Horse« heißt ein »Irish Pub« ein paar Häuser weiter, der gottlob außer Guinness auch noch das heimische Krostitzer Pils führte - und »davon haben wir mehr als nur ein Glas«, bemerkte der Wirt, als ich nach einem Bier schon wieder aufbrach. »Leipzig hat auch mehr als nur eine Kneipe«, entgegnete ich ihm und zog weiter. 500 m weiter südlich stand ich vor dem »Bayerischen Bahnhof«, bis vor wenigen Jahren mit Baujahr 1844 der dienstälteste Bahnhof Deutschlands, jetzt ein Restaurant, in dem man »Gose« bekam, eine obergärige Bierspezialität, die laut einer im Lokal ausliegenden Broschüre bereits Kaiser Otto III vor tausend Jahren geschätzt haben soll. Das könnte stimmen – schließlich waren die damaligen Kaiser oft in Goslar zugange, und nach dem durch Goslar fließenden Flüßchen Gose soll die Biersorte benannt worden sein.
Nach Leipzig kam sie erst 1738. Heute wird sie mit Sondergenehmigung gebraut, denn Milchsäure, Koriander und weitere Gewürze stehen nicht auf der Zutatenliste des deutschen Reinheitsgebots.
Ich kostete die Gose mit Begeisterung – ein säuerliches, aber erfrischendes Bier.
Auf dem Weg zum Hotel machte ich noch in einer »Szenekneipe« halt, aber da war's mir zu laut und voll.
Um Mitternacht legte ich mich ins Bett, hörte durchs spaltbreit geöffnete Fenster das Zwitschern von Vögeln, als wären diese in puncto Tageszeit etwas verwirrt. Und dabei haben sie doch gar nichts getrunken! dachte ich verwundert und fiel in Schlaf.

24.3.12

»Yes, we can - but why should we?«

»Yes, I can«, dachte ich mir nach der Wahlnacht, die Obama den Sieg brachte - und kaufte mir eine chromblitzende Harley Road King. Und jetzt verkaufte ich sie wieder. »Yes, we can - but why should we?« Warum sollte ich mir das länger antun?: Die teuren Ersatzteilpreise: Während der schönsten Hochsommerwochen 2009 stand die Harley still, weil ein winziges elektronisches Teilchen, der »Kurbelwellensensor«, kaputt war. Die Benzinleitungen waren auch nimmer taufrisch, und nachdem ich mühsam per Zug und Taxi in die 40 km entfernt auf dem Dorfe gelegenen HD-Werkstatt gefahren war, wurde ich für die Reparatur rund 1000 Euro los. Der Sommer war inzwischen vorbei. Und nun stelle man sich vor, so was passierte im Landesinneren Spaniens oder in Kroatien - oh weh oh weh ...
Die Unhandlichkeit: Kurvige Landsträßchen sind mit der Harley kein Genuß, und man muß immer sorgfältig achtgeben, wo man den 320-kg-Brocken parkt. Ist es nur ein wenig abschüssig, schafft man es fast nicht, den dicken Brocken rückwärts bergauf aus der Parklücke rauszuschieben. Fällt einem die Harley aus der Hand, ist sie zwar in weiser Voraussicht durch einen Sturzbügel vor Beschädigungen geschützt, aber es ist sehr schwer, sie allein wieder aufzuheben.
Sie taugt eigentlich mehr, um zu strunzen, als um zu fahren. Ähnlich wie Präsident Obama nur wenige seiner Wahlversprechen einhalten konnte, so konnte auch meine Harley Road King nicht allzu viel von dem einlösen, was sie versprochen hatte. Und weite Reisen mit dem Motorrad wollte ich eh keine mehr machen, das hatte ich mir 2008 versprochen, nachdem ich mit dem Bike in der Türkei fast unter die Räder gekommen war.
Und so gab ich mir einen Ruck und verkaufte die Harley und kaufte mir für einen Bruchteil des Preises einen taiwanesischen Roller namens SYM Fiddle 125 - sieht aus wie eine Vespa, kostet aber nur ein Drittel: 1500 Euro. Und das Ersatzteillager für Deutschland ist wenige hundert Meter entfernt.
Okay, eigentlich kostet er 1800 Euro (so viel wie mein alter Honda Lead 2003), aber in der (abgebildeten) Farbkombination (die nicht mehr lieferbar ist), war mein Exemplar 300 Euro billiger.
Heute vormittag holte ich ihn vom SYM-Händler in Mössingen ab, keine 4 km von Nehren. Zur Feier des neuen Fahrzeugs ein kleines Bierchen in der »Bierakademie«, einem Lokal, das vor gut 30 Jahren eröffnet wurde, als ich auf dem Mössinger Gymnasium in Klasse 12 war :-)
Bißchen hoch ist die Sitzposition auf dem Roller - man überblickt zwar vieles, hat es aber schwer, die Füße auf den Boden zu stellen, schwerer als im Honda Lead. Aber angenehm leicht ist das Fahrzeug.
Auf ein Neues!

12.3.12

Leipzig: Autor am Stand!

Am Samstag, dem 17.3., wird der Autor der Neuerscheinung »Der Herrin Wille geschehe«, Gregor Heiligmann, am Stand des Marterpfahl Verlags, Halle 5 C 400, mit seiner Frau ab 13.30 Uhr anwesend sein und vielleicht einige Bücher signieren.

8.3.12

Warum der Euro DOCH ein Teuro ist - und wir »offiziell« nichts davon wissen dürfen ...

... wegen des »hedonischen Prinzips« nämlich. Das kommt von griechisch »hedone« (»Vergnügen«) und bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie: »Wenn wir schon mehr Geld ausgeben müssen, so wollen wir doch wenigstens mehr Spaß dabei haben!«
So richtig schön bringt es mal wieder die Clown-Union auf den Punkt - wie üblich mit einem Video. »Hedonische Statistik« - das bedeutet also, Wertsteigerungen als Verbilligung mit einzurechnen, ungeachtet der Frage, ob die geringwertigeren Apparate überhaupt noch im Handel erhältlich sind. Irgendwie kommt mir das bekannt vor:
Versandhauskatalogreklame für Schwarzweißfernseher aus den 70er Jahren
Als 1990 unser letzter Schwarzweißfernseher kaputt ging, wollten wir wieder einen neuen - einen schwarzweißen natürlich. Schließlich muß man Tagesschau-Köpcke nicht unbedingt in Farbe sehen und einen x-beliebigen Spielfilm auch nicht. Doch es gab keine Schwarzweißfernseher mit großem Bildschirm mehr. Die letzten hatte ich um 1985 gesehen; sie kosteten 100 bis 200 D-Mark. Stattdessen mußten wir einen Farbfernseher für 650 Mark kaufen, ob wir wollten oder nicht, und mehr frech als entschuldigend grinsend meinte der Verkäufer, daran würden wir uns gewöhnen müssen. Scheint so ... Genauso läuft's momentan mit dem Analog-Satellitenfernsehen. Der Deutschlandfunk hat sein Analog-Satellitensignal schon vor Jahren an einem 1. April abgeschaltet - ein sehr schlechter Aprilscherz. Andere Sender waren geblieben. Der terrestrische Fernsehempfang wurde schon vor Jahren abgeschaltet, jetzt soll zum 30.4. der analoge Satellitenempfang folgen. Ausländische Fernsehsender sind schon weg von dem Satelliten, das habe ich vor Tagen abgecheckt - weder CNN ist noch da noch andere - und zählt RTL als ausländischer Sender? So wird man wieder einmal genötigt, für neuen technischen Kram zu zahlen, soll der Fernseher nicht dunkel bleiben ...
(Merkwürdigerweise werden jetzt aber für den digitalen Fernsehempfang wieder Zimmerantennen angeboten!)
Ein weiteres Beispiel für Meinungsmache:
So wird den Menschen vorgegaukelt, die meisten Menschen seien für eine Frauenquote.

4.3.12

Nazis, Sowjets und der Euro: Was die europäische Zentralbank nicht hören wollte

»Wenn Freiheit überhaupt irgend etwas bedeutet, dann sagen zu dürfen, was andere nicht hören wollen.« (George Orwell) Diese Freiheit ist heute begrenzt und bedroht, wie man am Video »Prop-Tops« der Clown-Union sieht, das Nazi- und Sowjetpropaganda mit der Schönfärberei der EZB in Sachen Euro gleichstellt. Auf Betreiben der EZB wurde das Video von Youtube entfernt, und es bedurfte etlicher Anstrengungen, es wieder dorthin zu kriegen. Übertroffen wurde das nur von dem Hacker-Angriff auf die Clown-Union Monate zuvor. Angela Merkel hätte das Prop-Tops-Video sicher als »nicht hilfreich« bezeichnet, aber Angela Merkel ist ja auch nur, wie ein Kritiker neulich bemerkte, ein »mit Ratlosigkeit gefüllter Hosenanzug« - oder ist sie gar ein feindlicher Roboter, ein mit Technik gefüllter »Infiltrator«?
Als eine Art »Infiltration« betrachtet die Clown-Union auch das allmähliche Sich-Breitmachen des Islams in Deutschland und zitiert dabei den algerischen Staatschef Boumedienne, der 1974 vor den Vereinten Nationen davon sprach, daß Millionen Menschen aus dem Süden den Norden fluten würden, und sie würden es in feindlicher Absicht tun. »Der Bauch unserer Frauen wird uns den Sieg bringen.« Boumedienne kündigt dem Norden den Krieg an
Wegen solcher islamkritischen Sprüche in diesem »Jahresrückblick 2011«, seiner Ablehnung eines Kriegs gegen den Iran andererseits geriet »der Clown« zwischen alle Fronten und postete dieses - bereits gestern erwähnte - Video mit den scharfen Israelitinnen.
Viel Spaß!

3.3.12

»Der liebe Gott ist auch nur ein Mann!«

... sagt »die Clown-Union« angesichts solcher Jüdinnen: Recht hat sie da vermutlich, wie auch sonst in manchen Punkten ... ... äh ja, Punkten. Die Clown-Union beleuchtet jedenfalls die Politik aus einem erfrischend unorthodoxen Blickwinkel, äh ja ...
... äh ja ...
Aus welchem der vielen Videos der Clown-Union diese Bilder sind? Das wird nicht verraten. Ich empfehle nur: Die Clown-Union!

Im Schlafanzug durchs Weltall - im seidenen Morgenrock in den Nahkampf?

Wußten Sie schon, daß die Mannen in "Raumschiff Enterprise" Schlafanzüge trugen? Wenn man es weiß, sieht man es auch ... Wenn Schl...