23.12.11

Weihnachtsfilme, besinnlich und weniger besinnlich ;-)

Warnung: Die meisten der u. a. Links, wenn nicht alle, dürften inzwischen ungültig sein ... 

Ach ja - die Weihnachtsgans sackt und der Wein macht angenehm benebelt - jetzt ist es Zeit für einen schönen Film.

Der Reißer: Eine knallige Edgar-Wallace-Verfilmung von 1931, also noch zu Lebzeiten des Meister. Allein schon die suppentellergroßen Scheinwerfer der damaligen Autos sind sehenswert, die damaligen Studioaufnahmen hören sich, egal ob sie in einem Zimmer spielen oder auf der Straße, alle nach einer großen Halle an, und der Hotelportier wird jedem Fan des Film »Casablanca« bekannt vorkommen:

Der Zinker (1931).



Einer der schönsten und schaurigsten Filme, die ich kenne, ist »Die Wendeltreppe« (1945). Schaurige Musik und Beleuchtung, ein schauriges altes Herrenhaus, eine düstere, verbrechenträchtige Wendeltreppe - was will man mehr?:

Die Wendeltreppe.



Immer wieder nett an Weihnachten:

»Don Camillo und Peppone« (1951).

Don Camillo ist entsetzt über die Machenschaften der Kommunisten direkt vor seiner Kirche

Ein Kinderfilm, aber von historischem Interesse. Wie fies der Herr Grundeis schon von Anfang an aussieht - wie der geborene Kinderschänder -, und wie schön surrealistisch die Phantasien des halbbetäubten Jungen im Zug! Und ein Haarschnitt kostete 50 Pfennig, und eine ewig lange Taxifahrt durch Berlin 5 Mark, ähnlich wie das primitive Hotel mit Nachttopf unterm Bett:

»Emil und die Detektive« (1931).

Voll unter Dampf steht Miß Marple - hier sieht man leider nur die ersten Minuten des Films, aber die genügen schon, um zur (grausamen) Sache zu kommen - und diese schöne Filmmusik!

»16 Uhr 50 ab Paddington«(1961).
Gemeuchelt im vorbeifahrenden Zug!

Nur auf englisch, aber als kompletten Film, nicht in Teilen, gibt es Alfred Hitchcocks ersten Farbfilm »Rope« (»Cocktail für eine Leiche«). In dem Film geht um zwei arrogante junge Schnösel, die ... ach, ich will's lieber nicht verraten!

»Cocktail für eine Leiche« (1948).

Was hinter diesem zugezogenen Vorhang passiert, möchte man gar nicht so genau wissen - oder doch?

Zum Abschluß was Entspannenderes:

Erich Kästners »Drei Männer im Schnee« (1955).

Viel Vergnügen!

»Piraten« verbrennen »Emma«

Ein reichlich wirrer Haufen, diese neue Piratenpartei. Aber auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn: Einer Frauenquote verweigert sich die Computer-Nerd-Partei bislang beharrlich, trotz öffentlichem Druck. Den hat das Feministen-Organ »Emma« gerade noch mal erhöht. Und wie reagieren die Piraten?:

Piraten verbrennen Emma.

21.12.11

Weihnachtsrätsel

Du fährst mit dem Auto und hältst eine konstante Geschwindigkeit. Auf deiner linken Seite befindet sich ein Abhang. Auf deiner rechten Seite fährt ein riesiges Feuerwehrauto und hält die gleiche Geschwindigkeit wie du. Vor dir galoppiert ein Schwein, das eindeutig größer ist als dein Auto, und du kannst nicht vorbei. Hinter dir verfolgt dich ein Hubschrauber auf Bodenhöhe. Das Schwein und der Hubschrauber haben exakt deine Geschwindigkeit. Was unternimmst du, um dieser Situation gefahrlos zu entkommen?

(Antwort: Vom Kinderkarussell absteigen und weniger Glühwein saufen!)

In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten, liebe Leser, und ein schönes neues Jahr ohne Rutsch!

11.12.11

Das Unfriedensprojekt

Als Friedensprojekt war er einst gedacht, der Euro - aber nun bringt er die Völker gegeneinander auf wie wenig sonst. Während viele Deutsche das Empfinden haben, ihre Ersparnisse seien bedroht, verschwänden in irgendeinem finsteren, grundlosen mediterranen Loch, glauben viele außerhalb Deutschlands, Deutschland beherrsche nun Europa:


Traurig, so was. Es wäre wirklich besser, man löste diesen Albtraum von Esperanto-Geld so bald wie möglich auf, und jeder kehrte wieder zu eigener, nationaler Währung und Finanzhoheit zurück.

10.12.11

BUCHMESSE: So, 16.10.: Autoren noch und nöcher

Sonntag, 16.10.2011: Autoren noch und nöcher

7.15 Uhr aufstehen. Diesmal nur ein Brötchen zum Frühstück, dafür ein Aspirin unter der Dusche. An meinem Auto holte ich noch Bücher und begab mich um 8.15 Uhr Richtung Straßenbahn. Doch die war mir gerade vor der Nase weggefahren. Die nächste folgte erst in 13 Minuten. An der Haltestelle warteten schon mehrere, die mit ihren Rollkoffern gut für eine Flut von Prospekten gewappnet sind. Eine junge Frau sah aus wie Sarah Wagenknecht – die trägt allerdings keine so hübschen rosa Pseudo-Dirndl-Wämschen.
Endlich saß ich in der Straßenbahn. Es war halb neun durch. An der Galluswarte mußte ich 7 Minuten auf die S-Bahn warten, und so war es schon neun Uhr durch, als ich endlich im Eingang Torhaus im Obergeschoß vor den Kontrollen stand. Diesmal nützte es mir nichts mehr, Aussteller zu sein, ich mußte warten und mich im allgemeinen Menschenstrom hineintreiben lassen in Halle 4.1. und bis zu unserem Stand – an dem die Charon-Leute auch erst kurz vor neun angelangt waren.
Es war jetzt 9.10 Uhr. Zum Standaufräumen kam ich nicht, weil schon Torres auf der Matte stand, mein Bestseller-Autor. Den Abend zuvor hatte er bei einem Frankfurter Treffen von Fantasy-Autoren verbracht, nun war er auf der Messe.
Und nicht nur er. Uli Bendrick kam mitsamt einer etwas verschüchterten Tochter und brachte mir ein Stoffpferdchen mit – eigentlich hatte sie mir einen blauen Hai schenken wollen, entsprechend dem Spitznamen ihres Romanhelden, aber der fand sich nirgends. Carlos A. aus der Gegend von Linz war auch da.
Der Buchverkauf ans Publikum war im Gegensatz zum Vortag am Vormittag schlecht, erst danach besserte es sich.
Das Goliath-Messegirl war von Grimmes gestriger Bondage-Vorführung ganz euphorisiert und erbat sich Grimmes neuestes Bondage-Handbuch im Tausch gegen einen teuren Goliath-Bildband.
Ab 15 Uhr hörte man wieder überall das Ratschen von Klebeband. Auch die Charonesen hatten schon diskret eine zusammenklappbare Sackkarre in der Ecke stehen, ließen sie aber vorerst ungenutzt. Nur Last Gasp, unserem Nachbarstand, liehen sie sie kurz aus. Die nämlich packten – im Gegensatz zu 2010 – schon sehr früh zusammen; diesmal hatten sie all ihre Messebestände an einen deutschen Nachfrager verkauft, und zu dem karrten sie die Bücher, und um vielleicht 16 Uhr waren sie verschwunden.
Wenig später ging die Security durch die Gänge und fotografierte alle illegalerweise vorzeitig abgeräumten Stände, suchte auf zurückgelassenen Prospekten nach der Adresse der Verlage (als wenn die nicht in der Datenbank der Messe stünde), diktierte Einzelheiten der »Fälle« ins Diktiergerät, zog dann weiter. Locker ein halbes Dutzend Stände in unserer Reihe waren schon leer geräumt. Das würde wohl bei jedem eine Konventionalstrafe geben …
Endlich war es soweit: 17.25 Uhr, Gong, Durchsage: »In wenigen Minuten schließen wir …«, alle packen erleichtert ein. Grimme und Nicole verschwinden um 17.45 Uhr mit ihrer Sackkarre, bei mir dauert es länger: Die an die Wand geklebten Buchcover vorsichtig ablösen, so daß keine Tesafilm-Rückstände an der Wand bleiben, alles in die beiden befüllbaren Hocker und den (von mir mitgebrachten, nicht gemieteten) Papierkorb füllen …
»Nur ein kleines Schlückchen Gin …!« Mit diesen Worten reichte mir unsere Standnachbarin, die »Künstlerin«, einen winzigen Plastikbecher. Vor lauter Begeisterung zerdeppere ich gleich eins der zwei Sonderangebots-Sektgläser, die ich mitgebracht hatte.
Kurz vor 18 Uhr wurde verwirrenderweise die Ansage »In wenigen Minuten schließen wir …« wiederholt, und wiederum eine halbe Stunde später tönte es durch die Lautsprecher: »Herr Sowieso, bitte begeben Sie sich zum Ausgang Torhaus – draußen wartet die Frau!« Gelächter ging durch die Reihen.
19 Uhr: Endlich hatte ich alles so weit wie möglich zusammengeräumt und Zettel an die Wandschienen geklebt, man möge doch bitte die rote Wandbespannung nicht entsorgen – denn S., mein Messeboy von 2010, möchte sich damit noch sein Schlafzimmer oder seinen Campingbus auskleiden ...
Geldzählen: die angenehmste Tätigkeit nach einer Messe. 565,- Euro hatte ich eingenommen, d. h. ich hatte auf der Hälfte der Fläche von 2010 rund zwei Drittel des Umsatzes von 2010 gemacht – ohne Assistenten und ohne großes Belabern der Kunden. Dennoch blieb ein dickes Minus (siehe unten).
Ich packte meine Aktentasche in meine Sporttasche und die zwei länglichen Sitzkissen für die Sitzschränke noch dazu (damit sie nicht wieder geklaut werden), dann begab ich mich zur S-Bahn und fuhr an der Galluswarte vorbei und bis nach Sachsenhausen.
Die deutsch-russische Grillstube hatte leider das Kasseler aus dem Programm genommen. Serviererin: »Sie sind der erste Gast seit Monaten, der sich darüber beschwert!« – »Ich bin aber extra deswegen hierhergekommen – und jetzt gehe ich anderswohin!«
Den »Struwwelpeter« lernte ich leider erst zwei Wochen später beim Frankfurt-Marathon kennen – Kasseler hat der allerdings auch nicht, aber viele Traditionsgerichte. Stattdesseng ging ich in den »Borsalino«, der hatte neben Italienischem auch Rippchen mit Sauerkraut. So war ich wieder halbwegs versöhnt.
Mit meiner Tasche ging ich dann über den Main, um das Lokal »Jerôme« kennenzulernen. Leander Sukov hatte dort am Donnerstag, also parallel zu meiner Lesung, eine Lesung unter dem Motto »Literatur und Eierlikör« veranstaltet, eine wohl gänzlich unerotische Lesung aus einem alten antifaschistischen Roman (Sukov ist Kommunist, seine Frau Verlegerin). Doch dieses ziemlich neue Lokal, kaum einen Kilometer von der Venusberg-Bar entfernt, hatte sonntags Ruhetag – also wieder heimwärts. Südlich der Konstablerwache stieg ich in die Straßenbahnlinie 11, vorbei an der Europäischen Zentralbank mit den wackeren »Besetzt Wallstreet!«-Demonstranten und dem leuchtenden großen Symbol einer Währung, die vielleicht nicht mehr lange leben wird, vorbei an Dom und Römer, dem Rotlicht- und Bahnhofsviertel, der Galluswarte – und ein Dutzend Stationen später fand ich mich wieder Höchst.
Auf ein letztes Bier ins »Sol y sombra«, »Sonne und Schatten«. Gegen 10 spazierte ich zu »meinem« Schiff ...

Montag, 17.10.2011: Chill out

Um 5 Uhr hörte ein Zimmernachbar Fernsehen, um 8 Uhr saß ich beim Frühstück, und vom Büffet fehlte schon so manches. Anschließend noch mal dösen. Das Wetter war grau und eben deshalb nachts milder, kein leichter Reif lag mehr in schattigen Lagen. Um elf brach ich auf, um 11.40 Uhr fuhr ich mit meinem Wagen aufs Messegelände.
Unsere Standnachbarin, die »Künstlerin«, war auch noch da, immer noch mit dem Abbau ihrer IKEA-Vitrinen beschäftigt, und ich konnte mich noch einmal über den »vorschriftsmäßig« langsamen Betrieb der Fahrstühle ärgern. Zweimal mußte ich mit dem Rollwägelchen hin- und herfahren, um alles in mein Auto zu laden.
Endlich verließ ich das Messegelände durch Tor Süd und bog nach rechts ab, nach Westen. Ich rollte durch Quartiere, die (mitsamt ihren Straßen) erst im Bau befindlich waren, dann an Campingplätzen vorbei und durch Gewerbegebiete, bis ich plötzlich am Frankfurter Westkreuz über einen Seitenweg direkt auf die Autobahn fuhr.
Die Sonne schien wieder. Nach einem Besuch bei Freunden war ich am Dienstagnachmittag wieder zu Hause in Nehren.

FAZIT: Trotz Kostenteilung mit Charon habe ich über einen Tausender mehr ausgegeben als eingenommen. Es war mal wieder schön, aber einfach zu teuer. Schluß damit! Aller guten Dinge sind (waren) drei – und jetzt schauen wir mal, was Leipzig bringen wird.

7.12.11

BUCHMESSE: FR, 14.10. und SA, 15.10.

Freitag, 14.10.2011: Printing on Demand auf dem Vormarsch

In Maßschuhen hätte ich vielleicht in der Zukunft auf die Messe gehen können – nobel geht die Welt zugrunde –, hätte ich um 15 Uhr dem Vortrag eines Maßschuhmachers gelauscht, vielleicht desselben, dessen Schaufenster ich zwei Wochen später in der Dreieichstraße bewunderte. Aber ich verpaßte den Vortrag, und so bin ich immer noch normal beschuht.
Auch den Vortrag von Scandinavianbook um 14 Uhr verpaßte ich. Dieser neue Bremer Ableger einer dänischen Digitaldruckerei hatte vor der Messe mächtig Reklame gemacht: Trotz hoher deutscher Lohnkosten versprach er Druck-Stückkosten wie in Litauen oder Polen; durch Ausnutzung aller modernen Rationalisierungspotentiale wollte er das erreichen. Nun ja, einen Versuch wäre es wert ...
Während der Printmarkt generell zu schrumpfen scheint, arbeitet sich die Drucktechnik anscheinend einem letzten Höhepunkt entgegen. Aber das ist ja in anderen Technikbereichen genauso: Als die CD auf dem Markt erschien, also der erste digitale Tonträger, erreichten analoge Plattenspieler noch einmal wahre Wunder an Gleichlauf und Klangtreue, fürs menschliche Ohr kaum von einer CD zu unterscheiden, genausowenig wie von den besten Audiokassetten.
Die Messe-FAZ echauffierte sich in einer ihrer Ausgaben darüber, daß Digitaldruck und Printing-on-demand den Selbstverlag so sehr erleichtere und verbillige, daß heutzutage auch viele Bücher gedruckt würden, für die sich kein Verleger interessiere – mit anderen Worten: die Mist sind. In der Tat lehnte ich auch schon Manuskripte wegen mangelnder Qualität ab und mußte dann feststellen, daß sie später im Selbstverlag und im Printing-on-Demand-Verfahren erschienen ...
Ein Stand in unserer Halle 4.1. präsentierte neben Büchern einen blitzenden Jaguar, ganz so, als sei der ebenso von der Automobilausstellung IAA einige Wochen zuvor zurückgeblieben wie der Audi-Pavillon, der jetzt auf der Agora das Lesezelt ersetzte. »Ich hätte meine blankpolierte Harley hier präsentieren sollen«, sagte ich zu Grimme. »Aber dann hätten wir einen doppelt so großen und mehr als doppelt so teuren Stand benötigt, und der Bezug zu unseren Büchern wäre auch nicht so recht deutlich geworden.« Ich sprach dann noch davon, daß ich die Harley wegen der immensen Instandhaltungskosten wahrscheinlich wieder verkaufen würde. Grimme: »Tja, du bist halt kein Rechtsanwalt oder Zahnarzt, der sich so was auf Dauer leisten kann.« Und dabei hatte ich mich doch schon so gefreut, endlich zum Establishment zu gehören *schluchz* wie ... z. B. Oliver Maria Schmitt, über den es in der Messe-FAZ hieß, auf dem Titanic-Empfang sei er natürlich wieder dabeigewesen, wie üblich in einem roten Jackett, aber ohne seine Harley. Tja, Kleider machen Leute – und der fahrbare Untersatz auch.
Um 18.35 Uhr stand ich schon an der S-Bahn, die halbleer war. Nur die anschließende Straßenbahn war anfangs voll. Das übliche Dutzend Stationen, während es draußen gerade eindunkelte.
Von der Straßenbahn-Endstation in Höchst gleich weiter Richtung Kneipenmeile auf der Bolongarostraße. Ich trug meine Melone und darunter ein schwarzes T-Shirt mit aufgedrucktem Frackausschnitt. Ich passierte eine Gruppe multikultureller Jugendlicher, von denen mir einer hinterherrief: »Einen wunderschönen guten Abend, der Herr! Hätten Sie eventuell Interesse an einem Nebenjob?« – »Eher nicht!« erwiderte ich lachend. »So sehen Sie auch aus!« schallte es mir noch hinterher. (Also doch schon Establishment?)
Erst mal Steak mit Zwiebeln in einem italienischen Restaurant, dann Spaziergang entlang der Straßenbahn-Route nach Nied. Mehrere Kneipen, die von Ausländern geführt wurden und weder Faßbier hatten noch anständige Quittungen ausstellen konnten. Flaschenbier gab’s aber immerhin. Ich hatte ständig das Gefühl, als einziger fremder Gast in quasi geschlossenen Gesellschaften herumzusitzen.
Also »heimwärts« wieder und Matratzenhorchdienst ...

Samstag, 15.10.2011: In tausend Seile verstrickt

Morgens ging ich noch mal zu meinem Auto, holte ein paar der billigen Bücherpakete, stand dann um 8.20 Uhr an der Straßenbahnhaltestelle. Am Samstag geht die Tram aber seltener, und so stand ich erst gegen 8.55 Uhr vor den Kontrollen am Eingang Torhaus. Eine gewaltige Menschenmenge wartete dort schon auf die Schalteröffnung für »Otto Normalverbraucher«, und die (fast) verspäteten Aussteller (wie ich) mußten sich seitwärts durch die mehrfachen Warteschlangen zur Einlaßkontrolle durchdrängeln.
Rolltreppe runter, Messe-FAZ abgreifen, rein in die Halle 4.1., und schon ertönten der Gong und die Ansage, daß es gleich losgehe ...
Nicole erzählte mir von Charons Messe-Erfahrungen. Charon ist ja mittlerweile ein Gemischtwarenladen, in dem Printprodukte nur noch einen Teil des Angebots ausmachen. Wie ist es z. B. auf dem DWGT (Dark Wave-Gothic-Treffen) in Leipzig? Charon erscheint da mit einem Großstand und mit sieben Leuten. Riesenumsatz – aber auch Riesenkosten. Viel übrig bleibt da nicht, allenfalls wird man in Szenekreisen bekannter. In welcher Szene? Das kommt drauf an ...
Mittags kam mein Autor Gerwalt mit seiner Frau, einer meiner fleißigsten und talentiertesten Autoren. Ich kann die Bücher gar nicht so schnell erscheinen lassen, wie sie von ihm geschrieben werden – und das alles parallel zu einem anspruchsvollen Hauptjob! Ich darf gar nicht daran denken, wie lange das Abfassen dieses Messeberichts schon wieder gedauert hat ...
Nachmittags griff ich mir in Halle 5 wieder einen der Papp-Rollkoffer der Handelskammer Istanbul ab.
Dem Goliath-Mädel schenkte ich »Morgendunkel«, damit zog sie glücklich ab. Am Abend wollte sie bei Grimmes Bondage-Performance im Grande Opéra mit dabei sein.
Der Chef einer Firma, die »Freiheit für ebooks« forderte, hatte zwei kostümierte Mädels, darunter ein gefesseltes, im Schlepptau mit dabei. Als er mit mir gesprochen hatte, sagte er ihnen: »So, nun sagt schön danke, und weiter geht’s!«
Damit war er aber immer noch freundlicher als die hemdsärmeligen Russen, die Tage zuvor am liebsten gleich das »Dornröschen« von mir gekauft hätten – ich verwies sie zwecks Lizenz an den amerikanischen Originalverlag.
Weiter ging auch der Tag: Endlich halb sieben, endlich der erlösende Gong.
Ich packte ein paar von den Billig-Bücherpaketen in den wackligen Papp-Rollkoffer der Handelskammer Istanbul und rollte damit gaaanz langsam und vorsichtig zur S-Bahn und in diese hinein. Umsteigen am Bahnhof Ostendstraße. Weiter nach Offenbach. Dort aus der S-Bahn raus (Lift kaputt, also alles in die Hand nehmen und schleppen) und dann langsam südwärts, wie 2010. Wenigstens wußte ich jetzt, daß es auf diesem Weg nicht nur Schnellimbisse gab, sondern auch richtige Restaurants. In einem portugiesischen solchen füllte ich mir mit gebratenem Tintenfisch, Salzkartoffeln und portugiesischem Bier den knurrenden Magen und zog dann meinen »Rolli« langsam weiter, um endlich gegen 20.45 Uhr im Grande Opéra »aufzuschlagen«, wie man heute so sagt.
»Sie sehen ja gar nichts!« raunte mir das Barmädchen zu, als ich während Grimmes Fessel-Performance nach 22 Uhr anfangs bequem an der Bar sitzen blieb. So konnte ich auch nicht sehen, daß das Goliath-Messegirl vorne in der ersten Reihe saß und alles mit neugierigen Augen betrachtete. Später ließ sie sich durch die »Spielzimmer« führen, aber ohne ein »philosophisches« Gespräch wie 2010 mit den Soziologinnen, sondern einfach nur mit Erläuterung der Funktionsweise der Geräte, die stets mit einem »Kraß!« kommentiert wurde.
Es war Grimmes und Charons Abend, sie wurden an diesem Abend so viele Bücher los wie an den ganzen Messetagen zuvor, während ich absolut nichts verkaufen konnte. Also alle Buchpakete wieder in den Papp-Rollkoffer einpacken – ohnehin begann nach dem Ende der Bondage-Performance ab 23 Uhr die Musik discomäßig zu dröhnen und die Trockeneisnebel zu wabern – und allmählich »heimwärts« wandern.
Lange dauerte es in dem vom wackligen »Rolli« erzwungenen Kriechtempo bis zur S-Bahn, und dort war die Bahn nach Höchst/Wiesbaden gerade abgefahren. Bis zur nächsten dauerte es über 20 Minuten. In die S-Bahn stiegen giggelnde Mädchen, die offensichtlich so was ähnliches wie Cosplayer waren, sie hatten »Antennen« auf der Stirn, die an spiralförmigen Befestigungen pausenlos wackelten, und sie grölten Lieder mit Texten wie »tausend nackte Weiber am Strand ...«. Ein Teil der (multikulturellen) Zuhörer fand das belustigend, ein anderer reagierte mit Anraunzern wie »Maul halten!«. Noch vor Höchst stiegen die Mädels wieder aus.
In Höchst wiederum war der S-Bahnhof bedeutend weiter von meinem Hotelschiff entfernt als die Straßenbahnhaltestelle, nämlich rund 600 bis 800 Meter statt 200 – und ich hatte auch keinen Plan, sondern nur eine vage Idee, daß ich nach Süden laufen mußte, in Fahrtrichtung links also.
Nach leichter Fehlorientierung gen Westen hatte ich auch bald die Bolongarostraße gefunden. Zeit für ein paar Absacker vor dem letzten Messetag, am Samstag waren die Kneipen ja bis tief in die Nacht geöffnet: Zuerst in die spanische und dann ins Schwarzwaldstübchen.
Gegen 1.50 Uhr war ich schließlich im Bett.

6.12.11

MESSE: Do, 13.10.2011: Lesung in der Venusberg-Bar

Schreck in der Morgenstunde: Meine Aktentasche mit Wechselgeldkasse, Notizbuch und allen Unterlagen ist weg – ich muß sie wohl im »Schwarzwaldstübchen« liegengelassen haben. Das hatte um diese frühe Stunde natürlich noch zu, aber wenigstens hing ein Schild im Schaufenster: »Freundliche Bedienung gesucht, Telefon xyz«. Ich notierte mir die Nummer und eilte zur Straßenbahn.
Ein Dutzend Straßenbahnstationen, dann in die S-Bahn, Treppe rauf, durch die Kontrolle, Rolltreppe runter, Messe-FAZ einstecken, Rechtsschwenk in Halle 4.1.
Auf dem Klo am unteren Rand der Kabinenwand der Spruch: »Beware of the limbo dancers!«
Der Gong ertönte, und wenig später begann der zweite Tag dieses Jahrmarkts der Eitelkeiten. Wer schaffte es z. B., von der Messe-FAZ gewürdigt zu werden, und wer nicht? Wir von Charon bzw. Marterpfahl schon mal nicht, das steht fest. Unter »Poetologie heute« brachte die Messe-FAZ Fotos von, nun ja: neun unterschiedlich bekleideten Ärschen, die etwas über ihre Träger aussagen sollten. Recht feminin gekleidet – mit roten Rüschchen und so – war Daniela Katzenberger. Ein Blick über ihren Amazon.de-Eintrag belehrt uns über diese Figur: Eine Frau, die – ähnlich wie vor Jahren Verona Feldbums – einen auf blondes Dummchen macht, damit aber schlau abzukassieren gedenkt. Bislang scheint ihre Kalkulation aufzugehen.
Ein ganz anderes Kaliber – schon textil, in seriösem Schwarz – ist da Sibylle Lewitscharoff, Trägerin des renommierten, altehrwürdigen Kleistpreises und weiterer Literaturpreise. Im Interview der Messe-FAZ äußerte sie über Margot Käßmanns während der Buchmesse 2009 hochgejubelten, laut Deutschlandfunk-Literaturpapst Denis Scheck ziemlich verschwurbelten Bestseller »In der Mitte des Lebens«: »FAZ: Als »Begierdekatholikin« wurden Sie in einer Rezension bezeichnet ... Da war ich doch erstaunt. Und ich hadere natürlich mit meiner Kirche, weil sie so lästerlich schlecht dasteht und sich so sehr von einer substantiellen Predigerhaltung abgekehrt hat zugunsten eines modernen Plapperatismus. Für mich sind Figuren wie Margot Käßmann wirklich ein rotes Tuch – diese Art von Gequassel! Das ist für mich auf lange Sicht die radikale Kirchenzerstörung. Und da stehen die Katholiken mit ihrer sehr viel würdigeren Form – bei allen Verwerfungen, die es sonst bei den Katholiken selbstverständlich gibt – viel besser da. Was mich aber nicht zu einer Konversion führen wird.«
Wer keinen Kleistpreis hat, muß da schon anderes Geschütz auffahren – ein sehr auffälliges, extrem geblümtes Kleid zum Beispiel, so eins, wie es Judith Schalansky anhatte: »Kommunikationsdesign hat J. S. studiert. Klingt total logisch, oder? Was für ein Geblüm! Das kann man ja stundenlang hin und her wälzen. So ein illustres illustratives Gewimmel findet man ja auch auf der abgelegensten Insel nicht.« (Messe-FAZ)
»Franz jagt im komplett verwahrlosten Taxi quer durch Bayern« – kennen Sie diesen Satz, verehrter Leser? Wenn Sie jemals ein Schriftmusterbuch einer Druckerei oder die Schriftmuster Ihrer Computer-Fonts angeschaut haben, bestimmt. In diesem Satz kommen nämlich alle Buchstaben des Alphabets vor, er eignet sich daher hervorragend, um zu zeigen, wie das Schriftbild einer bestimmten Schriftart aufs Auge wirkt.
Schalansky hatte vor zwei, drei Jahren ein Buch »Fraktur, mon amour« geschaffen, ein herrliches Buch mit Mustern unzähliger Frakturschriften nebst einer CD, ein Buch, das es sogar in den Vertrieb von »Last Gasp« aus San Francisco, unseres Standnachbarn, geschafft hatte – auf dessen Homepage ich es kennengelernt hatte. Ich kaufte es dann aber doch lieber beim Mainzer Originalverlag. Pro Seite wird dort eine Fraktur erläutert, und einen Beispielsatz gibt es auch: »Als der fiese Konsul den Rang verließ, blickte das Luxus-Geschöpf zum flamboyanten Matrosen und verschlang einen Bissen Hochzeitstorte!« Falls dieser Satz alle Buchstaben des Alphabets enthielte, wäre das reiner Zufall – er klingt aber wenigstens genauso schön bescheuert wie der Satz von Franz und seinem Taxi. Schalansky variiert diesen Satz auch noch, so daß man sich bei jeder neuen Seite auf eine neue bescheuerte Variante freuen kann, z. B.: »Als der filigrane Konsul das öffentliche Bankett verließ, blickte das hysterische Luxus-Geschöpf zur sanften Souffleuse und verschlang hastig einen großen Bissen Hochzeitstorte« oder »als der affige Konsul das langatmige Theaterstück verließ, blickte die Dame von Welt pathetisch zum durstigen Matrosen und verschlang mit drei großen Bissen die ganze Hochzeitstorte!« Und so weiter und so fort ...
Dann schrieb Schalansky ein Buch über einsame Inseln und jetzt eins über Giraffenhälse, reich bebildert, und mit all diesen Aktivitäten schaffte sie es mehrfach in die Messe-FAZ und sogar für ein Fernsehinterview aufs berühmte blaue Sofa im Foyer von Halle 5 und 6, was ich mehr von Herzen gönne als all den Katzenbergern, Käßfrauen, Bohlens und Roches und wer da noch auf der medialen Suppe als Fettauge ganz oben schwimmt.

Judith Schalansky mal ungeblümt: Beim Signieren von »Fraktur mon amour«
»Last Gasp« war übrigens diesmal nicht mit Colin Turner vertreten, der war in Babypause. Am Schreibtisch seines Messestands klebte ein Foto seiner Tochter mit der Geburts-Uhrzeitangabe »12.47 a. m.«, womit vermutlich 12 Uhr 47 mittags gemeint war und nicht 0.47 Uhr, und das, obwohl doch eigentlich um Punkt 12 der Nachmittag beginnt. Grimme: »Wegen so was hab ich mal ein Flugzeug um 12 Stunden verpaßt!«
Einen anderen Weg, um Aufmerksamkeit zu erheischen, hatte der Schriftsteller Christian Ankowitsch gewählt – als »Sandwich«, d. h. mit einem Plakat auf dem Bauch und einem auf dem Rücken. Anfangs stand gar nichts darauf, was die FAZ zu einem Interview veranlaßte (Ziel vorerst schon mal erreicht!): »Auf der Messe zählt nur eins: Aufmerksamkeit. C. A. versucht es dialektisch. FAZ: So wollen Sie auf die Messe? Aber ja. Ein Sandwich ohne Text? Das ist ja hier nur der Testlauf. Da wird von Mittwoch an stehen: »Beachten Sie mich bitte nicht!« Wie bitte? Der Autor C. A. will keine Beachtung? Jein. Das ist so ähnlich wie bei den lügenden Kretern. Sofern das Epimenides der Kreter sagt. Und nicht etwa die Weltbank. Exakt. Wie heißt denn Ihr Buch, das Sie damit doch sicher bewerben wollen? »Mach’s falsch und du machst es richtig!« Klingt irgendwie – falsch. Richtig. Hätten Sie da mal ein Beispiel für uns? Klar. Den großen Diogenes-Verleger Daniel Keel. Der hat 2005 eine Liste seiner am schlechtesten verkauften Bücher des Jahres veröffentlicht. Indem er seinen Mißerfolg öffentlich machte, hat er die Auflage des größten Ladenhüters um fast tausend Prozent gesteigert. Na gut, das waren trotzdem bloß 288 Stück, aber es kann durchaus klappen, wenn man’s gut falsch macht.«
Ende 2006 gab es in der Sonntags-FAZ sogar einen Artikel »Der Gammelbuchskandal«, der berichtete, in welch geringen Stückzahlen manche modernen Klassiker verkauft würden, etwa »Der Aufstand der Fischer von Santa Barbara« – keine einzige Schulklasse las, die müßten, so die FAZ »Böll lesen und Grass lesen, bis ihnen der Butt zu den Ohren herauskommt«, 1928 errang das Buch seiner Autorin den Kleistpreis, und jetzt das: Kaum zwei Dutzend Stück pro Jahr. – Ob die Klage was genützt hat?
Gegen elf rief ich auf Nicoles Handy die Schwarzwaldstube an: Ja, man öffne um 13 Uhr, ja, die Tasche sei da, sagte eine zerknautschte Stimme. Ein Stein fiel mir vom Herzen, ich ließ Grimme und Nicole mit dem Stand allein und fuhr in fast leerer Straßenbahn nach Höchst, fotografierte bei herrlicher Mittagssonne vom Aussichtsdeck des Hotelschiffs mainabwärts und war um 13.06 in der Schwarzwaldstube, wo man schon auf mich wartete: »Jetzt kommt er!« Normalerweise öffne man erst um 18 Uhr, besonders weil man ja erst am Morgen ins Bett komme, aber mir zuliebe habe man schon um 13 Uhr aufgemacht. Es gibt doch noch nette Menschen auf der Welt. Das erste Bier war noch mehr Schaum als Bier, aber es mußte jetzt einfach sein.
Wieder zurück zur Messe. Auf der Straßenbahn wurde für Taiwantourismus geworben – aber Taiwan wird Malle wohl nicht den Rang ablaufen können.
Bald würde es 16 Uhr sein – Zeit, an den Ausklang des Abends zu denken. In dem kleinen Laden in Halle 4.1. gibt es neben Knabberzeug fast nur noch Pappbecher und Getränke: vom Dosenbier bis hin zur über 40 Euro teuren Pommery-Flasche – zur Feier eines erfolgreichen Abschlusses. Ich decke mich mit Bier und Sekt ein. Wieder zurück an unseren Stand.
16 Uhr: Auf einmal war S. da, mein Messeboy von 2010. Er hatte eine stressige Anreise gehabt: Staus auf der Autobahn hatten die Fahrzeit Eßlingen-Frankfurt auf vier Stunden verlängert, und obendrein wollte er heute nacht noch zurückfahren. Ich überredete ihn dazu, in meinem Doppelzimmer zu übernachten, und mobiltelefonisch erhielt er für 15 Euro von »meinem« Hotelier auch die Genehmigung dafür. Eine Nacht lang würde ich sein Schnarchen wohl aushalten.
Nach S.‘ Ankunft gab es ein großes Hallo, auch an den Ständen ringsum. Er fing fast sofort an, das Publikum wie 2010 zu belabern, und ich konnte derweil – um 17 Uhr – eine Flasche Sekt köpfen. Wie 2010 benutzte ich den Kühlschrank der Goliaths. Es wurde richtig nett. Da brauchte man gar nicht mehr zu anderen Empfängen zu gehen, wie es die Messe-FAZ vorschlug: »17.00 Uhr: Erst zur Happy Hour am Stand des katholischen Medienverbandes – und dann husch-husch hinüber zum schwul-lesbischen Sektempfang. Halle 3.1 H 104 bzw. Halle 4.1 D 153.«
Feierabendgong. S. und ich spazierten zur S-Bahn, verließen sie an der Station Ostendstraße, speisten hervorragend und ziemlich günstig in dem Lokal gegenüber der Venusberg-Bar, betraten diese, und nach einigem Geplänkel wurde es dann für mich ernst: Meine Lesung begann etwa um halb neun.
Es handelte sich um eine Art »Finissage«. Was eine Vernissage ist, weiß fast jeder: eine Ausstellungseröffnung. Eine Finissage ist eine Ausstellungsschließung. Ich las Geschichten – von meiner und fremder Feder –, die laut Aussagen von Lesern und Bekannten schön waren, die aber Ladenhüter waren und demnächst entweder eingestellt oder in neuen Titeln verwertet. Die Reaktion der Handvoll Zuschauer – teils eigens gekommen, teils Zufallsgäste – war positiv, fast jeder kaufte etwas. (Prospekte hatte ich unprofessionellerweise vergessen). Am Schluß tauchte dann im Kimono noch Peter Zingler auf, eine der Nervensägen von 2010, und fragte pseudolustig, wo denn der Marterpfahl geblieben sei. »Schon wieder abgebaut«, konnte ich sagen und auf die Straße gehen, Richtung S-Bahn.
Zuvor bekam ich aber nach dem Vortrag viele Fragen gestellt, während ich mich bei einem Bierchen entspannte. Vielleicht eine Stunde später saßen S. und ich wieder in der S-Bahn Richtung Messe. S.: »Ich hab’s mir überlegt, ich fahre doch jetzt gleich nach Hause, dann kann ich morgen früh gleich den Bericht verfassen.« Er stieg am Hauptbahnhof aus und ließ sich von einem Taxi zum Parkhaus Rebstock bringen, in dem sein Wagen stand, erzählte später, was für Schwierigkeiten er dabei hatte: »Ich war an einen depressiven Taxifahrer geraten, der gar nicht genau wußte, wo das Parkhaus Rebstock war, dann, als ich endlich dort war, hatte ich keinen Zehn-Euro-Schein mehr, um am Automaten zu kassieren – ich kaufte einem besoffenen Paar, das sowieso nimmer hätte fahren dürfen, seinen Parkschein ab und war gegen Morgen zu Hause.«
Als ich in Höchst aus der Straßenbahn stieg, war es gegen Mitternacht, und alle Kneipen hatten schon zu, weshalb ich ohne einen Absacker direkt zu meinem Hotelschiffchen ging.

PS: Der orientalische Herrscher auf der Eröffnungsfeier war wahrscheinlich der Emir von Schardscha (englisch: Sharjah), einem der 7 vereinigten Emirate, gleich bei Dubai um die Ecke, groß wie das Saarland und mit einer Website ausgestattet: Schardscha!

4.12.11

BUCHMESSE: Mittwoch, 12.10.2011: Alle stecken in der Krise

Manche Hotelschiffgäste hatten offenbar weniger Probleme mit dem Fernsehapparat als ich: Schon um sechs Uhr morgens hörte man aus einigen Nachbarkabinen das dezente Gemurmel des Apparats durch die hellhörigen, dünnen Schiffskabinenwände. 20 nach 7 stand ich auf und ging in den Frühstücksraum, der ganz hinten war, mit Blick auf den in der Morgenröte daliegenden, mitunter leicht diesigen Main – ein schöner Anblick, den ich auch einmal fotografierte. Die Nächte waren klar und kühl, mit Temperaturen knapp über null Grad. In Bosnien habe es bereits geschneit, erzählte mir die von dort stammende Serviererin.
Schnell unter die Dusche, bevor jemand anderes sie mit Beschlag belegt! – Um 8.05 Uhr machte ich mich auf die Socken und stand dennoch bereits um 8.35 vor dem Messe-Eingang Torhaus.
Charon hatte den Diebstahl von fünf Büchern zu beklagen und packte fortan alle Bücher am Ende eines jeden Messetages in die »Sitzschränke« und sicherte diese notdürftig durch Kabelbinder. Goliath kam in der Nacht vom letzten Messetag auf Montag sogar mal eine komplette Palette Bücher abhanden, für die lohnte sich sogar der Ankauf der sündteuren Schlösser à 49 Euro.
Ansonsten lief alles wie gehabt: Auf dem Klo Krawatte umbinden – jeden Tag eine andere, so daß der Goliath-Mensch schon jeden Morgen neugierig war, wie er mir später erzählte –, das Lesen der Messe-FAZ, der Gong, begleitet von der Ansage »In wenigen Minuten öffnen wir unsere Tore« – für die Flut der Besucher.
Feste Termine hatte ich diesmal keine, also konnte ich es eigentlich ganz in Ruhe angehen lassen. Wer war denn eigentlich da auf der diesjährigen Buchmesse, und wer war nicht da?
Nicht da war der Taschen Verlag, der in den vergangenen Jahren immer wieder durch einen individuell gestylten Riesenstand angenehm aufgefallen war. Nicht da war auch der Kopp Verlag – aber der war ja auch noch nie da. Nie gehört, den Namen? Nun, egal ob Sie den Euro nicht leiden können oder mit Däniken an Außerirdische glauben wollen, ob Sie Anhänger der Hohlwelttheorie sind oder alternativer Anti-Krebs-Wundermittel – der Kopp Verlag aus Rottenburg bei Tübingen hat das richtige Buch für Sie. Mit seinen (oft rechtslastigen) Verschwörungstheorien beschäftigt der Kopp Verlag rund 70 Mitarbeiter in einem turnhallengroßen Gebäude und will demnächst auf 100 Mitarbeiter aufstocken. Wichtiger als eine Messepräsenz erscheinen ihm offensichtlich doppelseitige Anzeigen in der ADAC-Zeitung. In der Tat: Kostet wahrscheinlich weniger und bringt mehr.
Das führt uns wieder zu der Frage: Warum gehen wir als Verleger eigentlich auf die Messe? Dazu brachte die Messe-FAZ in ihrer letzten, d. h. der Sonntagsausgabe, ein launiges Interview mit dem »Gonzo-Verleger Klaus Bittermann [auf dem Foto mit Zigarette im Mundwinkel] und Zuarbeiter Nils Folckers«: »Herr Bittermann, wie war die Messe? KB: Ach je. Irgendwas anders als sonst? NF: Man darf wieder rauchen. Darf man? NF: Es läuft jedenfalls weniger Security herum als im letzten Jahr. Weil Island so harmlos ist wahrscheinlich. Ordentlich mit Lizenzen gehandelt? KB: Ich hatte einen einzigen Termin in diesem Agentendings, gerade eben. Und den hab ich vergessen. Wollten Sie kaufen? KB: Nee, der wollte mir was andrehen. Und sonst? Kommen Buchhändler vorbei? KB: Hm. Eigentlich nicht. Was machen Sie überhaupt hier? KB: Das frage ich mich auch. Gewohnheit vermutlich. Vor drei Jahren habe ich einen Schokoladenkuchen bekommen für mein fünfundzwanzigjähriges Buchmessen-Teilnahme-Jubiläum. Wow, in 22 Jahren ist es dann ja wieder soweit. KB: Ja, das ist doch ein prima Grund. Was war denn Ihr Höhepunkt der Messe? KB: Mal überlegen. Gestern ist hier gegenüber, beim ›Lettre‹-Stand, der Stuhl zusammengebrochen. Zackbumm. Autor am Boden.« Bittermann schloß mit der Mahnung an seine Verlegerkollegen, ihre Autoren nicht zu mästen und möglichst alles allein zu machen, ohne Mitarbeiter. Anschließend wurde noch geschildert, wie eine Frau »reindrängelt«, die partout ihre Gedichte an den Mann bringen wollte.
Tja – man fragt sich wirklich, was diese überteuerte Veranstaltung namens »Frankfurter Buchmesse« eigentlich noch soll. Und was sollen papierene Bücher noch?
In Halle 4.0 unter uns präsentieren sich wie üblich billige chinesische und osteuropäische Druckereien sowie »Non-books«, also alles, was zwar kein Buch ist, aber irgendwie mit Büchern zu tun hat – oder auch nicht. Da gibt es Buchstützen ebenso wie »Lesesessel«, die man aber auch zum Schlummern statt zum Lesen gebrauchen kann. Irgendwie scheint das im Trend zu liegen: Eine große Buchhandelskette verkündete unlängst, man mache derzeit noch 80 % des Umsatzes mit Büchern und wolle diesen Anteil demnächst auf 60 % verringern – durch Hinzunehmen anderer Umsatzträger. Amazon.de, den Unbedarfte immer noch für einen Buchhändler halten, macht sogar nur noch 17 % des Umsatzes mit Büchern, den Rest mit Videos, Kameras, Benzinkanistern und Notstromaggregaten. Es ist längst zu einem Mediamarkt geworden, zu einem Gemischtwarenladen, zu einem Baumarkt mit Buchabteilung. Irgendwie scheint das im Trend zu liegen. Man mißtraut offenbar dem gedruckten Buch und seiner Zukunft und sucht sich weitere ökonomische Standbeine für die Zukunft.
Das Ebook glänzte aber auch wieder mit Abwesenheit auf dieser Buchmesse. Kein Wunder: Gerade mal ein Prozent der deutschen Buchkäufer entschieden sich fürs elektronische Buch, obwohl die Verlage in der Angst, einen Zukunftsmarkt zu verlieren, reichlich Titel anbieten. Mit denen scheint es sich so zu verhalten wie mit dem Online-Angebot vieler Zeitungen: Viel Aufwand, wenig Ertrag.
Auf dem US-Markt sollen Ebooks bereits einen Marktanteil von 10 % haben, bei Amazon.com sogar schon von 50 %, und zwei deutsche Vielleserinnen haben mir auch schon kundgetan, ihnen seien Ebooks lieber, als von Papierbergen erschlagen zu werden, zumindest für die schnelle Lektüre von Sachen, die man eh nicht aufheben will. Mag ja sein.
Aber wie sollte man ein Ebook hier auf der Messe aufstellen? Mit dem nackten ausgedruckten Cover etwa? Und wie sollte man so was zu Weihnachten verschenken, fragte die FAZ etwa zur selben Zeit im November 2011, als der erste Kindle unter 100 Euro und mit deutschsprachigem Menü erschien. Ich glaube, es wird noch etwas dauern, bis sich das Ebook bei uns durchsetzen wird ...
Manroland, der große Druckmaschinenhersteller, ging pleite, das meldete die FAZ Wochen nach der Messe. In kaum einer anderen Branche war die deutsche Industrie so tonangebend wie im Druckmaschinenbau. Nachdem nun schon vor einigen Jahren die »Heidelberger Druckmaschinen« unter Druck geraten waren, hat es nun Manroland erwischt. Seit 2008 habe sich das Geschäftsvolumen im Druckmaschinenbereich halbiert, heißt es. Da addieren sich wohl die aktuelle Wirtschaftskrise und die Krise der Printmedien.
IKEA will die Maße seines Billy-Regals ändern, verkündete die Messe-FAZ. Da die jungen Leute eh immer weniger Bücher hätten, mache man aus dem Bücherregal ein allgemeines Regal mit größerer Tiefe. Auch wieder ein Indiz, daß sich die Zeiten ändern.
Daß die Security heuer weniger präsent war, empfanden wir aber ganz anders als Klaus Bittermanns Assistent. Im Gegenteil, uns suchte sie besonders häufig heim. Erst verbat sie Grimme das Tragen seines Universalwerkzeugs am Gürtel, dann wies sie Nicole, die zu einem Schulmädchenrock ein ganz dezent durchsichtiges Blüschen über ihren üppigen Formen trug, darauf hin, doch so bitte nicht durch Halle 5.0 zu gehen, die dort stationierten muslimischen Verlage könnten sich provoziert fühlen und ausrasten. (Wer ist hier eigentlich bei wem zu Gast?)
Von nun an war die Security fast täglich zu Gast und unterhielt sich freundschaftlich und intensiv mit Grimme, während ich nur dabeistand. Später erfuhren wir dann, daß die Security-Leute von ihren Vorgesetzten den Auftrag erhalten hatten: »Diesen Stand weiter beobachten!« So so ...
Beobachten konnte man in Halle 4.2, also bei den Fachbüchern ein Stockwerk über uns, wie schwarze Löcher entstehen und (hoffentlich) gleich wieder zerfallen. Die Edition Lammerhuber hatte sich nämlich auch gleich trendgerecht gedacht, was sollen wir unseren Platz mit Büchern verschwenden, ein Buch reicht doch eigentlich, unsere Neuerscheinung über das CERN bei Genf, diesen 16 km langen Rundtunnel, also bauen wir einfach mal den Kontrollstand des dortigen »Large Hadron Collider« mal nach und halten auf der Buchmesse wissenschaftliche Vorträge darüber, begleitet von Simulationen.
S., mein Messeboy von 2010 und Mitglied des Satirestammtischs »Unser Huhn«, den auch ich frequentiere, hatte als Journalist sogar für seine Zeitung darüber berichtet, wie das CERN seine Arbeit aufnahm, und ich stellte einen Bericht darüber auf S.’ Website:

Des Pudels C.E.R.N. – als Sonderkorrespondent beim Schweizer Schwarzen Loch
Gastbeitrag von hjfux vom 30.3.10, übernommen aus dem Unser-Huhn-Blog, nachbearbeitet von r.h.

Der Stammtisch Unser Huhn ist mit dem C.E.R.N. in einer kritischen Haßliebe verbunden. Zum einen warnt unser Otto (Rössler) die Welt vor den eventuell tödlichen Folgen, wenn im C.E.R.N. bei den hochenergetischen Kollisionen eventuell schwarze Löcher entstehen und die theoretische Hoffnung, dass sie sich wieder auflösen (Hawking), peinlicherweise falsch wäre [dann käme binnen kurzem der Weltuntergang]. Auf der anderen Seite haben wir Journalisten unter uns, die furchtlos von ihrer eigenen Hinrichtung berichten würden, bis ihnen die Stimme bricht. Und dieser (S.) ist heute zum wissenschaftlichen Knall hingefahren, um mit den eigenen Sinnen zu erleben, wie die erste 7 TeV-Kollision abläuft. Von der Front erreichte uns seine Email: »Hi Hajo! Sie haben es geschafft, heute mittag 13 Uhr, 7 Tera-e-Volt, der Antichrist kommt!!!!!! Uund ich war dabei. Fantastisch, nicht????«. Der S.U.H. hört da schon heraus: »Hi Hajo! Die Titanic hat es geschafft, eben Kontakt mit einem Eisberg, der Unsinkbarkeitstest läuft!!!! Und ich war dabei, fantastisch, nicht???« - oder doch anders?

Otto Rössler ist ein Tübinger Chaosforscher, der auch vor chaotischen Auseinandersetzungen mit dem Rest der Welt nicht zurückscheut, wenn es gilt, diese zu retten: Schwarze Löcher würden unkontrollierbar immer größer, sie fräßen alles in sich hinein, auch uns, die ganze Welt – aus, Ende.
An diesem Stand in Halle 4.2 fand die erste Veranstaltung bereits am Mittwochmorgen um 9 Uhr statt, pünktlich zum Messebeginn – da hatten die meisten noch, wie die Messe-FAZ sehr richtig schrieb, mit ganz anderen Teilchen zu kämpfen, z. B. mit Croissants wie meine Mitaussteller: Da sie ihre privaten Gastgeber nicht mit Frühstückmachen behelligen wollten, kamen sie immer mit nüchternem Magen, besorgten sich einen Kaffee an der nächstbesten Hallen-Cafeteria und schmierten sich Brote.
An einem anderen Tag erläuterten die Lammerhuber-CERN-Imitatoren, wie lang eine Picosekunde ist: bestimmt nicht so lang wie ein Arbeitstag auf der Messe.
Ansonsten schien in der Fachbuchhalle 4.2 die Devise zu gelten: Je dröger die Lektüre, desto saftiger der Imbiß – nirgendwo sonst sah ich so üppige Büffets, Lachshäppchen, Tabletts voller Sektgläser ...
Am Nachmittag kamen Arne Hoffmann und außerdem noch einer von ITM Hölscher, der gelegentlich Mängelexemplare und Remittenden meiner Bücher verramscht. Über Ebay sei es schwierig, erzählte er, die hätten da richtige schwarze Listen von Verlagen, deren Bücher nicht auf Ebay angeboten werden dürften, und auf dieser Liste stehe auch der Marterpfahl Verlag.
Auch der Goliath-Mensch findet es immer schwieriger, seine Bildbände loszuwerden. Früher hätten z. B. Bahnhofsbuchhandlungen immer einen Stapel genommen, jetzt nicht mehr. Wachsende Konkurrenz durchs Internet? Wachsende Prüderie? Wer weiß ... In einer Krimibuchhandlung wurde die Frage, ob man auch erotische Krimis führe, mit »Wir führen keinen Schmuddelkram« beantwortet, als wären erotische Krimis keine Krimis und ihre Leser keine Erwachsenen.
Mein Mitaussteller Charon jedenfalls bemerkte, ebenso wie z. B. das belgische »Secret Magazine«, einen Rückgang der Zeitschriftenauflage, da geht es Fetisch-Magazinen jedenfalls noch schlechter als Tageszeitungen, und bei Büchern einen Rückgang der Auflagenzahlen und einen immer schnelleren Vermarktungszyklus. Ja, das kam mir auch so vor, als fielen Bestseller immer schneller in sich zusammen – und vor allem Kurzgeschichten gehen schlechter als früher, vielleicht weil im Internet so viele angeboten werden?
Auch meine Vertreter berichten mir, die Buchhändler, insbesondere die auf dem Lande und in konservativeren Gegenden, hätten einfach keinen Mumm, meine Bücher ins Sortiment zu nehmen, da helfen auch Sonderaktionen nichts, wie das Scheitern meiner 4000 Euro teuren Werbeaktion im Herbst 2009 bewies. Auch mein Tübinger Konkurrent Konkursbuch bekomme durch Vertreter weniger abgenommen als früher – und dabei hat der sanftere Bücher.
Wieder nach Hause zurückgekehrt, erreichte mich die Nachricht von der Pleite der schwulen Buchhandlung Max & Milian in München. Irgendwie symptomatisch. Der schwule Buchladen Männerschwarm in Hamburg gab um 2000 noch alle paar Monate eine SM-Literaturliste auch für Heteros heraus, bestellte jeden neuen Titel, standing order, zahlte aber auch schon damals nachlässig, dann hieß es »Hetero-SM-Titel gehen bei uns kaum noch«, und jetzt? Wer weiß ...
Daß die Verramschung meiner Restbestände schwierig werden könnte, hatte ich ja schon 2010 erfahren, denn immer mehr Ramschläden wurden von Weltbild aufgekauft, und in diesem katholischen Laden gehe gar nichts, was über ganz sanfte Erotik hinausgehe. Eine Gratiszeitung auf der Buchmesse behauptete Gegenteiliges: Weltbild werde immer aufgeschlossener. Vielleicht ist’s aber auch nur Faulheit. Wieder daheim, las ich, daß ein Konflikt zwischen Weltbild und den Bischöfen ausgebrochen sei, da Weltbild auch Titel wie »VögelBar« und »Schlampen-Internat« oder »Anwaltshure« (alle blue panther books) verkaufe. Die Weltbild-Mannen wandten ein, sie benutzten dieselben Datenbanken wie alle großen Buchanbieter im Internet, es sei zu aufwendig, da von Hand alle erotischen Titel herauszusortieren. Diese Antwort stieß auf wenig Verständnis, und jetzt will die Katholische Kirche Weltbild schnell verkaufen. Das ist vielleicht eine gute Nachricht für jemanden, der Erotika verkaufen oder verramschen will.
Blue panther books waren übrigens diesmal auch nicht auf der Messe vertreten. Sie standen zwar im Katalog, aber der angegebene Stand war ein Sammelstand von Hörbüchern. Die Messe habe, so ein Gratisblättchen, ihnen keinen angemessenen Stand bieten können. So so. Nun, ich finde ja auch, für uns Belletristik-Anbieter sollte es schon Halle 3.1 sein, 4.1, wo eigentlich nur die Kunstbuch-Enthusiasten hingehen, ist eigentlich nicht angemessen. Das große Lesepublikum ist in 3.1., und da müßten wir auch hin, Gemecker von Spießerverlagen hin oder her.
Mit den offen sichtbaren Nippeln hätte meine Neuauflage von »Dornröschen« in den USA keine Chancen, urteilte ein Kenner. Na ja – bei einem Volk, das schon bei versehentlich entblößten Möpsen in einer Fernsehshow aus dem Häuschen ist (»Nipplegate«), ist natürlich alles möglich …
Oliver Maria Schmitt hingegen ist in der Messe-FAZ davon überzeugt, daß die Sexbuchwelle rollt und daß die Feuchtgebiete sich unerbittlich ins Verlagswesen hinein ausbreiten. Nun, für Roches zweites Buch »Stußgeknete«, äh, »Schoßgebete« mag das ja zutreffen, aber ansonsten wird man in der Buchwelt eher zugeknöpfter – siehe oben.
Ein Hotelführer von Dominique Strauss-Kahn hingegen, den Schmitt imaginiert, wäre in der Tat ein Desiderat: Wo gibt es die feschesten und zugänglichsten Zimmermädchen, und wo ist das Risiko am höchsten? So was würde ich sofort verlegen.
H-Nu kam, und Leander Sukov besuchte Charon, Bernd Zeun war da, ein Vertreter einer Berliner Literaturagentur war da, aber nur kurz, um mich auf morgen zu vertrösten – und so war trotz fehlender Termine meistens irgendwas los.
Endlich kam der Feierabendgong – Krawatte ab, zusammenpacken, zur S-Bahn. Um 19.10 Uhr war ich in Höchst. Der »Bär« war überfüllt, also ging ich nach – nach einem schnellen Döner – in eine spanische Kneipe auf einen Tapas-Teller und Bier und nachher noch ins »Schwarzwaldstübchen« auf mehr Bier und Zeit zum Notizbuchvollkritzeln, bis ich genügend Bettschwere besaß und die paar hundert Meter Richtung Schiff ging.

30.11.11

Manroland ist pleite - ein Menetekel?

In kaum einer anderen Branche waren deutsche Unternehmen seit Gutenbergs Zeiten derart marktführend wie in der Druckbranche, und es ging ihnen gut. Jetzt wird das anders: Heidelberger Druckmaschinen waren schon vor Jahren in der Krise, und jetzt hat es Manroland erwischt. Seit 2008 sei das Geschäftsvolumen bei Druckmaschinen weltweit auf die Hälfte geschrumpft, hieß es. Offenbar addieren sich hier die allgemeine Wirtschaftskrise und die Krise der Printmedien.

28.11.11

Schnelles Internet in Nehren!

Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Kaum ist man mal drei Wochen lang nicht da (auf zwei Reisen verteilt), schon ist das schnelle Internet in Nehren in greifbare Nähe gerückt. Mein Stellvertreter sagte mir schon bei meiner Rückkehr, es habe wiederholt Anrufe und Emails gegeben, die mich zum Spenden aufriefen. Vor einer Woche stand es dann am Freitag in der Lokalzeitung: Die Wirtschaft Nehrens hatte zugesagt, innerhalb einiger Wochen die 115.000 Euro zusammenzuspenden, die nötig sind, damit die Telekom gnädigst ein Glasfaserkabel von Mössingen nach Nehren legt - und jetzt waren schon 99 % der Summe da, am Ende der Frist. Na, dann bedarf's ja meiner 100 Euro nimmer.

Aber eigentlich ist es ein Skandal, daß es solcher Verrenkungen überhaupt bedarf, um schnelles Internet zu bekommen - oder können Sie sich vorstellen zu spenden, damit in Ihrem Dorf ein Briefkasten aufgestellt wird? Heutzutage ist nichts mehr unvorstellbar.

Nun wird das unnütze Stuttgarter Milliardenloch also doch gebaut

... etwas anderes wäre auch ein Wunder gewesen. Selbst wenn die »Ja-zum-Ausstieg«-Sager in der Mehrheit gewesen wären, das Quorum von einem Drittel der Wahlberechtigten hätten sie schwerlich erreicht, und selbst wenn sie das auch noch geschafft hätten, hätte sich lediglich das Land aus der Finanzierung verabschiedet, weitergebaut worden wäre wahrscheinlich so oder so.

27.11.11

Westerwelle fühlt sich durchgerüttelt (DI, 11.10.11)

Nach dem Frühstück um zehn nach acht döste ich noch weiter bis 10 vor 10. Es hatte ja keine Eile heute. Zeit genug, sich zu pflegen. Eine Dusche und ein Klo gab’s für vielleicht 20 Kabinen auf dieser Etage, und die Dusche mußte man minutenlang aufgedreht laufen lassen, bis warmes Wasser kam. Eigentlich ganz schön primitiv für 65 Euro pro Nacht und Doppelzimmer, aber ein Schiff ist eben was ganz Besonderes.
Um 10.45 Uhr verließ ich das Hotelschiff und schlenderte 200 Meter bis an den Ostrand der Altstadt.
Die Straßenbahnlinie 11 verbindet die Schießhüttenstraße in Fechenheim, ganz im Osten, mit der Zuckschwerdtstraße in Höchst – welch kriegerische Namen! In Höchst fährt die 11 eine Schleife: An der Zuckschwerdtstraße heißt es »Endstation! Alles aussteigen!«, dann fährt die Bahn ca. 150 Meter vor, und am Bolongaropalast dürfen dann wieder Leute einsteigen – Leute wie ich, die in die Innenstadt oder zur Messe wollen. So nah am Hotel – kaum mehr als 250 Meter, selbst mit Ampelstop kaum fünf Minuten zu Fuß – hatte ich bislang noch keine Bahnhaltestelle. Es würde genügen, morgens um 8.10 Uhr loszustiefeln statt um 7.50 Uhr.
Bergauf aufs Main-Steilufer und weiter zum Bolongaropalast. Dieser ist zum Main hin pompös, während die Straßenfront zur Bolongarostraße hin relativ bescheiden wirkt.
»1772 bis 1774 ließen die aus Stresa am Lago Maggiore stammenden Kaufleute und Tabakfabrikanten Josef Maria Markus und Jakob Philipp Bolongaro den Palast errichten. Die Brüder Bolongaro hatten sich 1735 in Frankfurt am Main niedergelassen und dort die größte Tabakhandlung und Schnupftabakmanufaktur Europas gegründet. Trotz ihres dadurch erworbenen beträchtlichen Vermögens hatten sie sich vergeblich um das Bürgerrecht der Stadt Frankfurt am Main bemüht, das ihnen als Katholiken in der lutherischen Reichsstadt Frankfurt verwehrt wurde. Daher waren sie schließlich auf ein Angebot des Kurfürsten Emmerich Josef von Mainz eingegangen, sich in der 1768 gegründeten Höchster Neustadt anzusiedeln. 1771 wurde Josef Maria Markus Bolongaro Bürger von Höchst. Das Neustadtprojekt wurde nach dem Tod des Kurfürsten im Jahr 1774 aufgegeben, und auch die Bolongaros nutzten den Palast nur kurz. Nach dem Tode von Josef Maria Markus 1779 einigten sich die Erben mit dem Frankfurter Rat schließlich doch noch und erhielten 1783 das Frankfurter Bürgerrecht. Der Palast diente in der Folge als standesgemäßes Quartier diverser Heerführer während derKoalitionskriege, die bekanntesten waren der in der Völkerschlacht bei Leipzig geschlagene Kaiser Napoleon Bonaparte, der vom 1. auf den 2. November 1813 hier seine letzte Nacht auf damals deutschem Boden verbrachte (das nahe Mainz gehörte damals bereits zu Frankreich), sowie der ihn verfolgende preußische Marschall Blücher, der den Palast vom 17. November bis 27. Dezember als Hauptquartier nutzte.
Die Familie Bolongaro verkaufte 1862 ihren Palast an den Mainzer Fabrikanten Friedrich August Sonntag, der dort eine Fabrik für Gas- und Wasserleitungen einrichtete. 1880 kaufte der Rödelheimer Pfarrer Eduard Lohoff den Bolongaropalast, teilte die Liegenschaft in kleinere Einheiten auf und veräußerte einige davon weiter. Der Bolongaropalast wurde weiter als Fabrikgebäude genutzt, unter anderem als Messinggießerei oder zur Herstellung von Bettfedern. Dies führte zu Beschädigungen der reich ausgeschmückten Innenräume.
In den Jahren 1907 und 1908 kaufte die Stadt Höchst die parzellierte Liegenschaft den jeweiligen Eigentümern ab, restaurierte den Palast aufwendig für ca. 400.000 Reichsmark und führte ihn wieder einer repräsentativen Nutzung zu. Er diente von 1908 bis zur Eingemeindung der Stadt Höchst 1928 als Rathaus. Heute beherbergt er die Stadtbezirksverwaltung und im westlichen Pavillon des Parks ein Standesamt. Seit der Eingemeindung von Höchst besitzt der Frankfurter Oberbürgermeister ein Büro im Palast. Von 1947 bis 1950 hatte auch der Deutsche Landkreistag seine Geschäftsstelle dort. Der frühere Frankfurter Oberbürgermeister Walter Kolb(* 1902, † 1956) wohnte im Westflügel des Palastes. Die Straßenfront der Nordfassade ist 117 Meter lang. Der Grundriß des dreiflügeligen Palasts hat die Form eines Hufeisens. Der Park, der sich auf der hinteren Seite befindet, fällt in zwei Terrassenstufen ab und wird im unteren Teil von zwei Gartenpavillons flankiert.« (Wikipedia)
Straßenfront des Bolongaropalasts, unweit der Trambahnhaltestelle
Südfront des Bolongaropalasts, Richtung Main
Und im Südwesten des Palasts das heutige Höchster Standesamt - und dann husch husch aufs Schiffchen! :-)
So so. Deshalb konnte also das »Hotelschiff Schlott« spezielle Hochzeits-Arrangements anbieten! Klar – das Standesamt ist kaum hundert Meter entfernt!
Am Bolongaropalast rein in die Trambahn und ostwärts! Bei halbwegs klarem Wetter sieht man von Höchst aus schon den Messeturm, das Ziel der Reise. Die Bahn kutschierte mich durch Nied. Ein paar grüne Wiesen, dann zeigte ein altes, grünes Haus mit der Hausnummer 800 das westliche Ende der ewig langen Mainzer Landstraße an. Man brauchte eigentlich gar nicht auf die Haltestellennamen zu achten, es genügte, auf die Hausnummern zu achten: Unterschritten sie die 250, so war die Galluswarte nicht mehr fern.
Galluswarte: Raus aus der Straßenbahn, rein in die S-Bahn, eine Station weit, dann rein in die Messe. Bis etwa 16 Uhr dekorierte ich. Nebenan war wieder dieselbe Künstlerin wie 2010, schräg gegenüber wieder der Goliath-Stand.
Gegen 16 Uhr kam Grimme von Charon mit seiner Nicole, dem Messegirl und »Fesselopfer«. Ich mußte mich verabschieden, denn es wurde Zeit für die Eröffnungsveranstaltung.
Einlaßkontrollen wie auf dem Flughafen. Innen drin eine Bar – ah, ein erstes kleines Bier! Kopfhörer für Übersetzungen waren zu haben, Pressetexte aller Reden (»Freigabe: 18 Uhr«).
Rein in den »Saal Harmonie«, in dem noch etliche Plätze leer blieben. Zuletzt zogen die Ehrengäste ein, namentlich von einem Sprecher begrüßt, darunter auch »Der Herrscher von Scha-Scha« oder so ähnlich. Letzteres weckte meine Neugier, aber ich konnte nichts Näheres sehen oder erfahren. (Wissen Sie, wo »Scha-scha« ist, verehrte Leser?)
Die Eröffnungsrede hielt wie üblich Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins. »Wer hat diesen Mundwinkel so heruntergezogen? Piraten, Piraten, Piraten!« lästerte die Messe-FAZ später – jene Mitglieder der Piratenpartei, die vor dem City-Eingang der Messe ganz offen für die weitgehende Abschaffung des Urheberrechts und die Legalisierung der Raubkopie demonstrierten mit Sprüchen wie »Control + C, Control + V« oder »Das Internet ist euer Tod«. Honnefelder nahm den Fehde-Handschuh auf und wetterte, der Abwehrkampf gegen Raubkopierer sei die wichtigste Schlacht der nächsten Jahre. Damit gab er das Leitmotiv der ganzen Veranstaltung vor. Bereits 60 Prozent aller deutschsprachigen Ebook-Inhalte würden illegal heruntergeladen, verkündete er. Für mich Grund genug, dem neuen Medium weiterhin skeptisch gegenüberzustehen.
»Als nächstes«, so die Messe-FAZ, »hielt Boos [, der Direktor der Buchmesse,] seine Lobrede auf das ›social reading‹ im Internet: Im lebendigen Austausch werde hier Literatur konsumiert. Wir hätten eine Situation vor uns, wie sie zuletzt zu den Lesegesellschaften des 18. Jahrhunderts geführt habe, als man sich zusammenschloß, um gemeinsam zu rezipieren. Warum aber mußte Boos – völlig grundlos – den Piraten trotzdem ein ungeheures Argument vor die Füße kullern? Lesegesellschaften, sagte er, seien ›Zweckgemeinschaften‹ gewesen, ›weil Bücher doch zunächst sehr teuer waren‹.«
Anschließend verbreitete Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth Platitüden, versprach gar unklugerweise, alle Islandsagas zu lesen, tausende von Seiten (»Versprochen ist leider versprochen – suche Partner (ausdauernd) zum gemeinsamen Lesen von Islandsagas, 4000 Seiten« fingierte die Messe-FAZ tags darauf eine Kleinanzeige), und der stellvertretende hessische Ministerpräsident Hahn »pries beherzt den Flughafen und die Autobahnknoten jener Stadt an, in welcher ›der Geist Goethes, aber auch viele andere, äh, sprüht‹.« Danach lieferten sich ein isländischer Schriftsteller und der isländische Staatspräsident »einen Wettstreit um die wortreichste Lobhudelei Islands als Hort des geschriebenen Wortes.« Für mich eine Erholungspause, denn ich hatte auf Übersetzungs-Kopfhörer verzichtet und konnte mich am Klang des Isländischen erbauen. Das taten übrigens vor Monaten auch die Besucher eines Berliner Kinos, die vor dem isländischen Botschafter und seiner Frau saßen, und als sie auf ihre Frage hin die Auskunft bekamen, bei der rätselhaften Sprache handle es sich um Isländisch, reagierten sie verblüffte: »Ja, können Sie sich denn so einen Kinobesuch überhaupt noch leisten?« Immerhin weiß seit der Finanzkrise jeder, wo Island ist, während die Insel in den 70er Jahren noch diplomatisch intervenieren mußte, um auch nur auf der ARD-Wetterkarte verzeichnet zu werden.
In der Tat mußten die Isländer sich nach der Decke strecken, um diese Verpflichtung, Partnerland der Buchmesse zu sein, mit Leben zu erfüllen; sie haben sich mächtig ins Zeug gelegt und viel geschafft: »Daß Island ungefähr die Einwohnerzahl von Bielefeld hat (...), wird seit zwei Wochen bei sämtlichen Islandkulturereigniseröffnungen vorgetragen. Trotz der paar Leute hat das kleine Land es mit vereinten Kräften geschafft, das bevölkerungsreichere Frankfurt mit einer Kulturkruste aus müffelndem Eishai, Wollpullovern und dickleibigen Büchern zu überziehen, auf deren Seiten sich Bauern auf möglichst interessante Weise erschlagen.« (Messe-FAZ)
Und dann kam der Utanríkisráđherra Þýskalands zu Worte, der »Außenreichsratsherr Deutschlands«, wie die Isländer in ihrer Vermeidung von Latinismen sagen, also Deutschlands Außenminister Gídó Vesturöld, äh, Guido Westerwelle. Von ihm kam, wie von allen Rettungs-Europäern, das rituelle Bekenntnis zu Europa, »gerade in Zeiten, wo es bestritten wird«. Damit das Bekenntnis nicht gar zu lang ausfiel, »bollerte« der Minister schon bald seinen Schlußsatz: »›Nicht nur die Isländer hat die Krise durchgeschüttelt‹, sagte er und erwies sich einmal mehr als Meister der Kunstpause, ›sondern auch … manchen anderen. Ich weiß auch nicht, warum ich das jetzt hier in Frankfurt sage.‹ Wir wissen es auch nicht.« (Messe-FAZ)
Dann war alles vorbei, wir mußten noch ein wenig sitzen bleiben, bis die Ehrengäste gegangen waren, ich hielt Ausschau nach dem »Herrscher von Scha-Scha«, erblickte aber weder diesen noch eventuelle tiefverschleierte Frauen in seinem Schlepptau, war ein wenig enttäuscht und erhob mich schließlich auch.
Am Sonntagnachmittag fand im »Saal Harmonie« die Prämierung der besten Costume Player statt, ein, zwei Stunden später sogar ein Lolita-Wettbewerb. Das waren sicher nettere Veranstaltungen.
Als ich nach über drei Stunden gegen 18.45 Uhr wieder an unserem Stand war, hatten die Charonesen sich schon in den Feierabend zurückgezogen, hatten nur eine Mobilfunknummer für dringende Fälle zurückgelassen. Die »bookfactory« kam dagegen gerade erst, jene Druckerei, die vor Monaten mein »2 x Frankfurt«-Buch gedruckt hatte. Schräg gegenüber von uns nahm sie den Stand ein, den 2010 ein Hersteller teurer Kunstdrucke innegehabt hatte, dessen schwerer, ausladender Kunstdruck-Ständer immer in den Gang hineingeragt hatte.
Nach rund einer weiteren Stunde Arbeit – Einlegen von Werbehinweisen auf meine Lesung in die Verlagsprospekte – war alles fertig. Ich packte einige der mit Geschenkband zusammengeschnürten Päckchen mit Auslauftiteln in Stofftüten, ging raus zur S-Bahn und fuhr dort zum Bahnhof Ostendstraße, ganz so, als wohnte ich in Sachsenhausen und nicht in Höchst. Ausgang Ostendstraße. Ich fand mich nicht zurecht, ging wieder in die S-Bahn-Station und verließ sie an ihrem anderen Ende (»Hanauer Landstraße«). Erst mal ein saftiges, großes Steak in derselben Sportkneipe wie 2010, dann weiter zur Venusberg-Bar, die Bücherpakete abliefern. Der Initiator des Ganzen, Herr Engel, der mit dem »Sudfaß«-Puff (so die korrekte Schreibweise, nicht »Südfaß«) das Geld für diese Erotika-Sammlung und diese Bar verdient hatte, war auch da, spendierte mir ein Bier, und wir unterhielten uns mit einer Handvoll Gästen ganz nett. Ich ließ meine Bücherpakete da und trollte mich nach ein, zwei Stunden wieder zur S-Bahn, fuhr bis Galluswarte und von dort mit der Straßenbahn 11 bis nach Höchst. Ein »Irish Pub« bot sodann noch Gelegenheit, bei Strong Bow Cider und Kilkenny die Probleme von Gleitsichtbrillen zu erörtern ...
Gegen Mitternacht spazierte ich wieder zu meinem Hotelschiff

21.11.11

Aller guten Dinge sind drei - Frankfurter Buchmesse 2011 - zum 3. und letzten Mal (Teil I)

Sonntag, 9.10.2011: Frisch aus der Druckerei

Um 15 Uhr wollte ich weg sein; tatsächlich wurde es dann 16.20 Uhr. Kurzer Stop in Leonberg bei einer Bekannten, anschließend vor der Autobahn noch einmal auftanken. Die Tankstelle war überfüllt, ich mußte warten, es herrschte drangvolle Enge.
Schließlich war ich nordwärts Richtung Heilbronn unterwegs auf der A 81, dann ostwärts auf der A 6 Richtung Nürnberg, die sinkende Sonne im Rücken. Morgen würde ich noch fünf Neuerscheinungen aus der Druckerei holen müssen, die ich in Frankfurt präsentieren wollte. Außerdem war ich am Dienstagnachmittag zur feierlichen Eröffnungsveranstaltung der Buchmesse eingeladen. Jawohl – ich darf Herrn Westerwelle leibhaftig sehen! Wer weiß, wie lang es noch Gelegenheit dazu gibt ... »Herzlichen Glückwunsch!« hatten mir dann immer alle, mit denen ich darüber redete, ironisch gewünscht. Aber warum soll man sich solchen einen Festakt nicht mal ansehen? Die beiden ersten Male war ich nicht eingeladen gewesen – offenbar zählte ich beim dritten Mal schon zum Establishment ... (Wochen zuvor hatte ich eine Anfrage bekommen, ob ich dort hinwollte, und als ich mit Ja antwortete, kam eine Einladung – offenbar hatten sonst nicht allzuviel Leute Interesse, Herrn Westerwelle zu sehen, sonst hätte ich in die Röhre geguckt.)
Der Tag geht, Bayern kommt. Nordwärts vorbei an Nürnberg und auch ein Stück weit auf normalen Straßen durch die Stadt. Am Autobahnkreuz Fürth/Erlangen ostwärts. Nach wenigen Kilometern links, nordwärts, zwei Hotels, darunter ein Etap-Hotel. Gleich darauf verließ ich die Autobahn, rollte an dem riesigen »Autohof« (einer Raststätte für Lkw-Fahrer) vorbei in das Gewerbegebiet Erlangen-Tennenlohe, vorbei an der Adresse der Druckerei (2002 war ich schon einmal hier, als »Scipia, Sklavin der Römer« erschien) und zum billigen Etap-Hotel (47 Euro mit Frühstück), in dem ich um halb neun eincheckte. Viele Polen und Rumänen übernachteten hier, der Parkplatz war voller Kleintransporter und Kleinbusse, junge Osteuropäer auf der Durchreise – logisch, die A 3 von Frankfurt her ist ja eine Hauptdurchgangsroute Richtung Balkan.
Ein Restaurant in zehn Minuten Entfernung zu Fuß hatte ebenso zu wie der »Saunaclub Afrodit«. Typisch Sonntagabend. Was nun? Westwärts unter der Autobahn durch und zwei Kilometer weit im Dunklen ins nächste Dorf, wo laut Google-Maps ein Lokal sein soll? Und was, wenn das ebenfalls schon zu war?
Ich wanderte ostwärts, vorbei an den riesigen Lkw-Parkplätzen des Autohofs, auf denen osteuropäische Fahrer neben ihren Lastern standen und schwatzten, vorbei an einer dazugehörigen Tankstelle mit Restaurant, und kurz danach war ich in den dörflichen Straßen von Tennenlohe mit z. T. alten Fachwerkhäusern. Wenn nur dieses laute Verkehrsrauschen nicht wäre! Das stört die Idylle. Auf drei Seiten ist Tennenlohe von Autobahnen bzw. der vierspurigen B 4 umgeben, und das große Gewerbegebiet soll offenbar noch erweitert werden – sofern das Volk am 23.10. zustimmt, so informierten mich Plakate am Wegesrand. »Um Gottes Willen – noch mehr Krach und Dreck!« entsetzten sich die Gegner, und »Ja! Noch mehr zukunftssichere Arbeitsplätze!« jubilierten die Befürworter.
Der »goldene Schwan« in Tennenlohes Ortsmitte hatte offenbar auch zu, alles war dunkel und still – bis auf das Hintergrundrauschen. So kehrte ich um und wenig später ein in die Autohof-Gaststätte, die gemütlicher war als gedacht, mit viel Biergarten-Charakter, auch wenn man zu dieser Jahreszeit natürlich nicht mehr draußen sitzen konnte. Es standen viele Wildgerichte auf der Karte, ich entschied mich für ein Wildmufflonsteak mit Reis und gedachte jenes Tages im Herbst 2000, als ich mit einer Autorin in einem Dorflokal bei Würzburg zusammensaß, das sogar Straußeneier und Krokodilsteaks auf der Karte hatte. Aber die seien zäh wie Leder, hatte mich meine Autorin gewarnt. So war ich auch damals beim Mufflon, einer Art Wildschaf, geblieben, zumal die Bedienung treuherzig meinte: »Klapperschlange kann ich Ihnen leider noch nicht bieten!«
Spaziergang zurück zum Hotel. Die Lärmschutzfenster dämpften das Rauschen der nahen A 3; öffnete man sie auch nur einen Spalt breit, wurde es unerträglich ...

Montag, 10.10.2011: Ich schiffe mich ein

Um zehn nach sechs war ich wach und schmökerte in Arne Hoffmanns Buch »Kamasutra am Arbeitsplatz«, schrieb endlich die Rezension, die ich ihm schon lange versprochen hatte. Noch vor sieben Uhr war ich unten in der Lobby und setzte mich an das Internetterminal, um die Rezension auf Amazon.de zu posten. Etwas mehr Reklame für meine Lesung am Donnerstag könnte auch nicht schaden, dachte ich mir und postete eine Meldung auf der Mailingliste SWL, der Mailingliste für die SM-Szene – die aber nicht weitergereicht wurde, weil sie nicht von meinem heimischen Rechner und nicht von dem üblichen Email-Konto aus kam.
Weg vom Rechner und drei Meter weiter zum Frühstück. Dabei ein wenig in der ausliegenden Zeitung schmökern: Für viele gebildete Russen der Mittelschicht, etwa 20 Prozent der Bevölkerung, sei die Aussicht auf Putins Wiederkehr das Signal, ihrem Heimatland endgültig den Rücken zu kehren, las ich.
Nach so viel frühmorgendlicher Dynamik auf dem Zimmer erst mal noch ’ne Runde weiterdösen. Ohnehin herrschte draußen mittlerweile ein so grau-verregnet-trübes Wetter, daß man am liebsten den ganzen Tag im Bett geblieben wäre.
Aber geht ja nicht … Also raffte ich mich wieder auf, lud die Koffer ins Auto und rollte wenige hundert Meter weit bis auf den Hof der Druckerei Print Com. Bald darauf saß ich dem Chef, Herrn Grund, beim Kaffee gegenüber, und nach einigem Fachsimpeln lud ich schließlich von jeder der fünf Neuerscheinungen rund 15 Stück in meinen Wagen, den Rest ließ ich mir nach Hause schicken. Zwar hatte ich von jeder Neuerscheinung diesmal nur 100 Stück drucken lassen, aber es war trotzdem zu viel für meinen bereits arg vollgeladenen Kombi.
Auf die A 3 gen Nordwesten. Träge rollte ich in Richtung Frankfurt dahin, hörte Deutschlandfunk auf Langwelle. Würzburg. Das Wetter kann sich nicht entscheiden, ob es regnen soll oder nicht. Nervig – Scheibenwischer an, Scheibenwischer aus. Die Hügel Frankens und des Spessarts ziehen vorbei. Die heutige Autobahnraststätte Spessart liegt etwa da, wo früher das berühmte »Wirtshaus im Spessart« an einer Straßenkreuzung lag. Es wurde 1958 wegen des Autobahnbaus abgerissen, gerade als der gleichnamige Film in die Kinos kam.
Ganz allmählich hellt es sich auf. Ich fuhr an Aschaffenburg vorbei, Bayerns nordwestlichster Stadt, weniger als eine Stunde von Frankfurt entfernt. Der Regen geht, Hessen kommt!
… aber windig war’s, sehr windig, stellte ich fest, als ich auf dem obersten, offenen Parkdeck des Parkhauses neben Halle 4 aus meinem Wagen stieg. An der Ecke des Parkdecks war der Aufzug, mit dem mußte ich eine Etage tiefer fahren, dann ein paar Korridore entlanglaufen und dann mit einem anderen Aufzug noch einmal tiefer fahren – genau wie 2010 eben.
Doch die Lichtschrankentür zum Vorraum des Aufzugs auf dem Parkdeck war defekt. Neben mir wartete schon bald ein halbes Dutzend Aufbauwillige, manche mit hohen Stapeln von Bücher- und Weinflaschenkartons auf Sackkarren. Einer versuchte, mit dem Handy irgendwen Zuständigen von dem Defekt zu unterrichten. Letzten Endes half alles nichts – ich mußte (wie die anderen) meinen Kram mit dem Rollwägelchen die Autorampe einen Stock weit runterfahren, dann dort durch das ganze Parkdeck schieben, dann noch mal mit dem Aufzug – bedient von einer penibel-korrekten Fachkraft, schööön langsam und nach Vorschrift – einen Stock runterfahren, bevor ich in die Halle 4.1. kam. Und das alles dreimal nacheinander.
Diesmal war wenigstens die Blende über dem Stand mit dem Namen »Charon Verlag / Marterpfahl Verlag« da, die ich bestellt hatte. 2010 hatte ich auch eine solche Blende bestellt und eine schmale Glasvitrine, und beides war nicht geliefert, aber berechnet worden – und ich Depp hatte es auch noch bezahlt, weil ich in der Vorweihnachtshektik nicht so genau auf die Rechnung geschaut hatte. Aber das Geld hol ich mir jetzt zurück – auf die Bezahlung der diesjährigen Leistung werden die lange warten können, das will ich verrechnet haben …
Ich popelte mit dem Taschenmesser Löcher in die Wandbespannung, hängte die Wandschienen ein, auf denen die Bücher stehen sollten, befestigte Buchcover an der leeren Wand rechts neben unserem Stand, dekorierte Pakete mit billigen Auslauftiteln in hübsche Geschenkkörbe und plazierte die beiden innen hohlen, also als Stauraum geeigneten Hocker, einen roten und einen weißen. Oder tat ich das alles erst am Dienstag? Vielleicht – denn am Montag reichte die Zeit nur, um möglichst viel von dem Messegut auf den Stand zu tragen und erste Arbeiten zu verrichten. Als nach ein, zwei Stunden alles schon halbwegs manierlich aussah, setzte ich mich wieder in meinen Wagen, hatte ich doch versprochen, mein Hotelzimmer bis gegen 18 Uhr zu beziehen.
Runter die vielfach gewundene Rampe, raus aus dem Gelände durch Tor Süd, nach links abbiegen, in der Haltebucht einer Bushaltestelle Blick auf den ausgedruckten Stadtplan, weiter geradeaus – und jetzt nach rechts in die kilometerlange Mainzer Landstraße. Ja, da vorne war ja schon eine Straßenbahn der Linie 11, die fuhr ja genau nach Höchst – wo ich hinwollte. Die Mainzer Landstraße müßte ich nun bis zu ihrem Ende durchfahren, dann weiter geradeaus, und schon wäre ich (fast) da. Diesmal hatte ich in Höchst Quartier genommen, ganz an der entgegengesetzten Ecke von Sachsenhausen. Schon um etwas Zeit zu haben, mich einzugewöhnen, war ich froh, diesmal schon am Montag angereist zu sein.
Ich rollte westwärts wie die Straßenbahn, einige Kilometer weit. Aber ach – wenn man weiter den Wegweisern nach Höchst folgte, wurde man dann im Bogen auf eine vierspurige Straße nach Süden geleitet, über den Main hinüber, obwohl doch Höchst auf dem Nordufer des Mains liegt. Um der Mainzer Landstraße weiter zu folgen, hätte ich wohl den Wegweisern nach Nied folgen müssen …
War ich hier falsch, auf der Südseite des Mains? Nein. Schon wurde die breite Straße im Bogen wieder an den Main zurückgeführt, auf dessen Nordufer die Silhouette von Höchst mit seiner Altstadt und dem Schloßturm erkennbar wurde.
Die meisten werden bei »Höchst« nur an Industrie denken, aber das ist nicht alles. Höchst hat eine hübsche Altstadt mit Fachwerkhäusern, Schlössern und Palästen, die im Zweiten Weltkrieg trotz der Industrienähe seltsamerweise völlig verschont blieb und nicht wenige Kneipen beherbergt …
Schon hatte ich wieder den Main überquert, war rechts abgebogen und rollte durch die Bolongarostraße mit ihren Fachwerkhäusern. Noch einmal nach rechts, und schon war ich beim »Hotelschiff Schlott«, das diesmal mein Quartier sein sollte. Neben zwei oder drei Hausbooten war es an der Mündung des Flüßchens Nidda in den Main vertäut, begab sich in den Sommermonaten aber auch schon mal auf Reisen, auf kürzere Ausflüge zumeist, war für solche Zwecke buchbar – und als Hotel eben. Die Einzelzimmer waren alle schon vergeben, als ich im Mai anfragte – aber die teureren Doppelzimmer boten auch mehr Platz als die schiffskabinentypisch engen Einzelzimmer.
Montag war Ruhetag des Schiffs-Restaurants, aber ein Bier bekam ich nach dem Einchecken trotzdem. Der gemütliche Abend konnte beginnen.
Echt gemütlich: Hotelschiff Schlott
Der Main macht bei Höchst eine Kurve, und Höchst – am Nordufer dieser Biegung – hat ein richtiges kleines Steilufer, es geht bis zur Altstadt locker zehn Höhenmeter bergauf. Zwischen Nidda und Main gab es einen grünen, an der Mündung der Nidda spitz zulaufenden Park – nachts ein beliebter Ort für Jugendliche, die nicht ins Bett finden können. Wenige Dutzend Meter vom Hotelschiff entfernt setzte eine kleine Personenfähre nach Bedarf ans Mainsüdufer über, von wo aus man nach anderthalb Kilometern Alt-Schwanheim erreicht hätte – aber den Fährbetrieb gab’s nur von 9 bis 18 Uhr – also nix für die Kneipentour dort drüben ...
Abendspaziergang durch die Höchster Altstadt. Hinter den »altdeutschen« Fassaden steckt viel Multikulti, das merkt man an den Gesprächen der Straßenkids ebenso wie an den Speisekarten (spanisch, griechisch, türkisch) wie anderntags am Personal in der Straßenbahn. Da ist das Ausländische nicht mehr Beiwerk, sondern das Deutsche droht zum Beiwerk zu werden. So deutlich wie dieses Mal war mir das noch nie aufgefallen.
So auffällige Geschäftsstellen von Parteien hatte ich bislang auch noch nirgends gesehen. Vor der Geschäftsstelle der Linkspartei hing eine rote Socke, geschnitzt aus Holz ...
Ich landete schließlich nahe dem Höchster Schloß im gemütlichen und stark besuchten Restaurant »Zum Bären«. Auch hier stand wieder viel Wild auf der Karte: Wildschweinkeule, Elchsteak – aber als ich das las, hatte ich schon, der Anpreisung vor der Tür folgend, die »Bärenpfanne« bestellt – auch nicht schlecht, auch wenn sie nicht aus Bärenfleisch bestand, sondern aus verschiedenen Fleischstücken.
Danach landete ich noch in einer griechischen Kneipe, mit deren Wirt ich mir bei Heineken vom Faß und einem (von ihm spendierten) Ouzo rasch über die meisten politischen Probleme Europas einig wurde. Er war sich sicher: Die beiden letzten Außenminister Deutschlands waren komplette Pflaumen, Westerwelle sowieso, aber auch Joschka Fischer. »Den hab ich doch hier noch in Frankfurt in der Innenstadt erlebt – fast jeeee-den Abend ist der in Handschellen abgeführt worden!« Bis er dann in der neuen Partei der Grünen seine Chance witterte und sie nutzte. »Mit Ökologie hatten die Leute um Joschka Fischer, die zu uns stießen, gar nichts am Hut!« klagte vor Jahren ein grünes Urgestein. Nö, natürlich nicht. Die hatten nur erkannt, daß sie mit einem linken Splittergrüppchen nichts werden konnten, daß die Grünen ihnen aber als Sprungbrett zur Macht dienen konnten ...
Abendspaziergang in der fast lauen Nachtluft über die Nidda in den Wörth-Park und den Main flußabwärts. Eine Gänsefamilie hatte noch ganz kleine Küken, so nahe am Winter – ob das gutging?
Dem Fernsehapparat konnte ich ebensowenig ein Bild entlocken wie vor Monaten auf einem billigen spanischen Hotelzimmer, auf dem weißverschneiten Bildschirm erschien nur ein Insert mit einer von fünf Minuten sekundenweise rückwärts zählenden Digitaluhr. Ob bei Null der Apparat gesprengt werden würde? Na, egal – lauschen wir dem Gequake der Enten und Gänse und lassen wir uns vom gelegentlichen Wellenschlag eines vorbeifahrenden Frachters in den Schlaf wiegen ...

26.10.11

Die ultimative Erniedrigung

Ultimate surrender ist eine neue Form des Frauenringens, bei dem die Siegerin die Verliererin noch zusätzlich demütigt, indem sie ihr den Finger in die Möse steckt und sie damit ein wenig fickt:
Die Unterlegene bekommt dafür »Schampunkte«, die niemals verfallen ...

Bogey

Manche werden sich fragen: Nanu - was ist denn hier aus dem Profilbild geworden? Nun ja, könnte ich entgegnen - man wird alt ... Dabei war Bogey noch nicht ganz so alt wie ich jetzt, als Yousuf Karsh ihn 1946 fotografierte. (Das Bild findet sich in der Wikipedia und ist frei verfügbar.) Als ich von der Google-Gesichtserkennung hörte, diesem neuen glorreichen Fortschritt in der Digitalisierung der Welt, dachte ich mir: Wenn sich der Google-Gesichtscheck hier schon umschaut, soll er wenigstens eine berühmte Visage erspähen und nicht meine.
Schön' Tach noch! ;-)

22.10.11

Das Elend: Schnelles Internet auf dem Dorfe

Der Bürgermeister rief, und alle, alle kamen: vom großen Mittelständler mit 50 Angestellten bis hin zu mir - zum Vortrag der Fraunhoffer-Stiftung, die für schnelles Internet auf den Dörfern sorgt. Früher wäre ja alles kein Problem gewesen, damals, zu Zeiten der seligen alten Bundespost. Da hätte man beschlossen »wir machen das«, und einige Jahre später hätten es alle gehabt. Seit der Privatisierung ist das anders - kleine Dörfer mit 500 oder 1000 Einwohnern sind uninteressant für Investoren, die DSL-Leitungen legen sollen. Sogar Nehren mit seinen 4200 Einwohnern ist uninteressant. Wir bekommen das DSL-Signal aus Mössingen, und diejenigen Nehrener, die Mössingen am nächsten liegen, haben noch ziemlich schnelles Internet, ich ein halbschnelles, »DSL light« sozusagen, ich brauche vielleicht 10 Minuten, um einen 10-Megabyte-Brocken zu verschicken, gerade noch akzeptabel, und die Druckerei am nördlichen Ortsende, die häufig große Datenpakete versendet, die ist mit einem quälend langsamen Internet gesegnet. Ein Glasfaserkabel von Mössingen oder Dußlingen nach hier zu verlegen, so wurde in der Versammlung erläutert, koste rund 100.000 Euro. Man brauche also 10 Sponsoren, die 10.000 Euro lockermachten. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können in diesem Moment. Ich wäre bereit, 100 Euro zu zahlen, wenn 1000 andere dasselbe täten, aber 10.000 Euro - nee. Aber die 1000 Spender werden sich nicht finden lassen. Den einen ist es egal, die anderen, die sich in den 80ern für Kabelfernsehen entschieden, können schnelles Internet durch das Fernseh-Koaxialkabel bekommen - so ist die Einwohnerschaft gespalten und uneins. Nur eins ist klar: Ohne Privatisierung von Infrastrukturaufgaben wär das alles nicht passiert. Alles klar!?

Galicien? Frankfurter Buchmesse? Belgien?

Tja, liebe Leser - tut mir leid, daß der Galicien-Reisebericht vom Frühjahr so verläppert ist. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ohnehin sind aller guten Dinge drei - wahrscheinlich werde ich noch einmal hinfahren, mindestens, und dann wird es einen Reisebericht in Buchform geben ...
Auch mit dem Bericht von der Frankfurter Buchmesse 2011 müssen die Fans sich noch weiter gedulden - ich bin ja bald schon wieder auf der Reise, auf der Reise zum Frankfurt-Marathon am 30.10., und anschließend weiter nach Belgien, Berlin ...
Also bis bald, liebe Leser!

2.10.11

5 Neuerscheinungen!

Herbstzeit ist Erntezeit: Gleich fünf Neuerscheinungen erwarten den geneigten Leser zum 1. Oktober: Blackwater Island von »dryade alna«, einer wahren Seeteufelin von Jungautorin, das Geheimnis der Sklavin präsentiert uns in bewährt spannungsreicher Manier Tomás de Torres, hier mit einer ausführlichen Leseprobe, Gerwalt, der Autor der Mittelalter-Trilogie »Weidenrute und Schwert«, »Feder und Farbe«, »Kette und Kreuz«, tobt sich aus mit dem letzten Element (Leseprobe) und mit der Sklavin am Ohio (Leseprobe), während Emily Drummond zusammen mit R. H. Kobács erneute piratenbeutenmäßig zuschlägt.

Wo gibt's das alles zu sehen - mitsamt der Dornröschen-Trilogie natürlich? Auf der Frankfurter Buchmesse (12.-16.10.2011), Halle 4.1., Stand L 540. Bis bald! :-)

Flotter Herbstspaziergang, 25 km - der Schönbuchlauf

»Der Herbstklassiker im Schönbuch«, so nennt er sich, der in Hildrizhausen startende 25-km-Lauf durch den Naturpark Schönbuch. Seit 1974 findet er statt, und in der Turnhalle hängen bläulich hektographierte, blaßschriftige Blätter mit den Ergebnissen von 1974 an der Wand. Schön sei die Landschaft, heißt es in der Beschreibung auf www.schoenbuchlauf.de, aber wegen der Höhenunterschiede von 250 Metern könnten nur »ausreichend trainierte Läufer« diese Schönheiten auch würdigen, heißt es warnend. Grund genug, es langsam angehen zu lassen.
2007 hatte ich schon einmal teilgenommen. Damals fand dieser Lauf noch Ende Oktober statt. Im rekordwarmen Herbst 2006 wäre es wunderbar gewesen, nicht aber 2007. Am Tag vor dem Lauf besichtigte ich das Gelände - Freund Didi wollte mich ab km 16 begleiten, da ging der Lauf nahe seinem Wohnort über einen Golfplatz -, und schon da war zwar Sonnenschein, aber ein eisiger Ostwind, und über Nacht schlug das Wetter um, und am anderen Morgen war alles weiß. Der erste Schnee schon Ende Oktober! Es sollte fast der ganze Schnee eines insgesamt laschen Winters werden - aber er war nun mal da - und lästig. Da ich mich vorangemeldet hatte, widerstand ich der Versuchung, einfach im Bett zu bleiben, und ging hin - und joggte im Mantel durch den Naßschnee. 3:14 1/2 war das Ergebnis, und ich erreichte meinen Stammplatz: den vorletzten.
Aus dieser Wettermisere scheint man gelernt zu haben und verlegte den Termin vor: auf Anfang Oktober.
Und so brach ich morgens um 20 nach 7 auf. Obwohl die Bäckerei sonntags erst um 8 aufmacht, bekam ich schon einen Kaffee, während die Angestellte alles erst noch einräumte. - Weiter. Mit dem Auto. Fürs Motorrad war es noch allzu kühl; gerade erst brach eine blutrote aufgehende Sonne durch die Nebelschwaden.
Nachmeldung in Hildrizhausen: »Jetzt kommen die ganz Schnellen - mit Hut!« (ich hatte meinen Borsalino auf.)
Eine Stunde noch - Zeit, um sich unter der heißen Dusche zu aalen, belegte Brötchen zu essen und rumzulungern. Wenn ich diesen 25-km-Lauf in 3:33:33 schaffe,dann besteht Anlaß zur Hoffnung, den Frankfurt-Marathon in 5:55:55 zu schaffen.
9.30 Uhr: Der Startschuß. Ich lasse es ruhig angehen, und schon nach 500 Metern auf der Dorfstraße mahnt mich der Lenker des Abschluß-Polizeiautos, doch bitte auf dem Gehweg weiterzujoggen, damit die Straße für Autos wieder freigegeben werden könne. Nach einem Kilometer sehe ich die anderen noch aus der Ferne, dann tauche ich in den Wald ein und bin ganz alleine. (Abgesehen von gelegentlichen Mountainbikern.)
Goldener Oktober: Die Sonne wärmt jetzt, nur im Schatten ist es noch sehr kühl, die Bäume fangen gerade erst an, herbstlich bunt zu werden, es ist herrlich. Bei leichtem Gefälle laufe ich im Tal des kleinen oder großen Goldersbachs (in Tübingen-Lustnau mündet er in den Neckar, sorgt gelegentlich für Überschwemmungen und bekommt daher ein Rückhaltebecken quer über die Straße verpaßt - daher mußte ich an einer Bsustellenampel warten. Wie soll das eigentlich werden, wenn das Rückhaltebecken geflutet ist - ist dann die Straße unpassierbar?) bergab, es geht leicht und flott, aber dennoch brauche ich 77 Minuten, bis ich bei km 11 an der Teufelsbrücke bin, wo großer und kleiner Goldersbach sich vereinen und wo die erste »Wasserstelle« ist.
Von nun an geht es langsam, aber stetig bergauf, bergauf - aber nach 2:10 habe ich die zweite »Wasserstelle« vor km 16 erreicht, nahe der Bundesstraße Richtung Böblingen und nahe dem Schaichhof. Ich bin immer der letzte, und gelegentlich überholt mich ein Rotkreuzauto von den hinter mir geräumten »Aufpasserstellen« und fragt besorgt, ob ich nicht schon nahe dem Umfallen sei. Nein, bin ich nicht ...
Ab km 16 geht es angenehm flach weiter und quer über die mit Sträuchern und Teichen - manche mit Fontänen! - durchsetzen samtgrünen, kurzgeschorenen Rasenflächen des Golfplatzes. Ein Restaurant gibt's hier auch, das hatte ich 2007 ausprobiert.
Bei km 4 war mir ein Läufer entgegengekommen, der aufgab - wie 2007. 2007 hatte ich auf dem Golfplatzgelände auf einmal den vorletzten vor mir, kämpfte mich Meter um Meter an ihn ran und überholte ihn schließlich, wurde selber vorletzter ... Auch diesmal war hier auf einmal ein Jogger mit Hund vor mir, aber zu schnell für mich und anscheinend kein Teilnehmer des Schönbuchlaufs.
Bergauf ging es jetzt wieder. Vor km 21 die letzte Wasserstelle. Nach 2:55 passierte ich die Halbmarathonmarke, und nach 3:14, meiner Zielzeit von 2007, war ich noch rund 4 Stadionrunden, 1600 Meter, vom Ziel entfernt.
Raus aus dem Wald, das Dorf kommt in Sicht, es geht abwärts, das Ziel kommt näher ...
3:26:54 wurden es schließlich, mit 24 Minuten Abstand auf den vorletzten - nun ja, man kann nicht alles haben, aber immerhin war ich 6 1/2 Minuten schneller als geplant! Aber jetzt noch weitere 42 Stadionrunden bis zur Vollmarathon-Distanz? Und heißt es nicht, wenn die Generalprobe geglückt sei, mißrate die Premiere? Egal - nicht drüber nachgrübeln und einfach drauflosjoggen! Erstaunlich auch meine Zeit: Auf der Fünfkilometerstrecke bin ich momentan 7 Minuten langsamer als 2007 (31 1/2 Minuten statt 24 1/2 Minuten), aber dennoch war ich auf 25 km nur ein Dutzend Minuten langsamer? Das zeigt wieder, wie wichtig es ist, es ruhig angehen zu lassen, sich nicht vorzeitig zu verausgaben.
Als ich mit einem Weizenbier in der Halle auf einem Stuhl zusammensank, kündete der Moderator gerade begeistert die Siegerehrung an. Die bisherigen Streckenrekorde seien durch den heutigen, neuen geradezu pulverisiert worden, verkündete er. Und durch welchen Wunderknaben? Durch einen Schwarzafrikaner natürlich. In unglaublichen 1:19 schaffte er es (was wohl einer Marathonzeit von 2:20 entspricht), danach kam über ein Dutzend Minuten lang gar nichts und dann nach 1:32 der erste deutsche Läufer ...
»Wir kommen nun zur Siegerehrung der Senioren über 30« - oh Gott, und was bin ich dann? Ein Grufti?
Gazellenartige, superschlanke Frauen wurden geehrt - und der älteste Teilnehmer, ein 77jähriger, der die Strecke in 2:52 schaffte.
Bloß weg hier, bevor ich mich noch älter fühle! Die Duschen spendeten nur noch lauwarmes Wasser - kein Wunder, wenn der Putztrupp schon alle Duschen auf Dauerfeuer gestellt hat, daß es tost wie ein kleiner Orkan ...
Mit dem Auto über die hübsche, aussichtsreiche Strecke nach Herrenberg. Jetzt wäre Motorradfahren schön gewesen - aber es waren schon genug Leute mit dem Mopped unterwegs, viele davon riskant.
Aufs Golfrestaurant hatte ich keine Lust mehr. Einfach nur abhängen bei Bier und Souvlaki im »Picknick« in Dußlingen - und dann nach Hause fahren und diese Zeilen hier schreiben *zischweiterebierflascheöffne* :-)

25.9.11

»Droben stehet die Kapelle« (II) - und halbhoch sausen die Jogger rundrum ...

... und ich hinterdrein. Aber der Reihe nach.
»Ein anspruchsvoller 13-km-Lauf ist der Hirschauer Spitzberglauf mit fast 400 Metern Höhenunterschied« hieß es im Internet. Ein Blick auf die Zeiten: 2010 ging der Langsamste nach gut 83 Minuten ins Ziel. Oh Gott, und ich brauch bei dem Profil bestimmt 100 Minuten, werde also mal wieder letzter sein. Soll ich mir das antun?

Muß ich wohl, denn ohne Training sieht's finster aus, den Frankfurt-Marathon wenigstens in 5:55:55, also knapp vor »Annahmeschluß«, zu finishen. Auch ist das Herbstwetter viel zu schön, um auf der faulen Haut zu liegen. Also um 8.45 Uhr rauf auf die Harley und los. Frühstück beim Bäcker 500 m entfernt.

Kühl und frisch ist's auf dem Mopped, auch wenn schon die Sonne scheint. - In Hirschau erst mal über 10 Minuten rumkurven, bis ich den Zugang zum Sportgelände gefunden habe. 10 vor 10 ist's, 10 Minuten vor Anmeldeschluß.

10.30 Uhr Start. Ich trabe langsam, schone meine Kräfte, und schon vor km 1 bin ich allein auf weiter Flur. »Ja, ja - immer schön langsam, so wie's hier bergauf geht« grinst mir ein hagerer Läufertyp, schon deutlich im Rentenalter stehend, zu, bevor er mich als letzter überholt und auch bald außer Sicht ist.

Nach km 1 geht's in die (Wein-)berge. Herrliche Ausblicke für den, der wie ich maßvoll läuft, mehr geht als läuft, und das alles noch genießen kann. Hinter mir die beiden Schlußradler, unterhalten sich über Gartenbau. Schilder: »Weinberg zu verkaufen«. In Halbhöhenlage rund um die Wurmlinger Kapelle - gottlob nicht oben drüber! -, auf der Nordseite Ausblicke ins Ammertal, auf der Südseite ins Neckartal.

Nach 2 1/2 Kilometern eine Kreuzung, die man nach km 10 wieder passieren wird. Ein Helfer raunt mir zu: »Für Ihre Zeit können wir die Strecke nicht mehr garantieren!« - »Aber markiert ist sie doch noch? Ja?« - Mürrisch: »Jaaa ...« - Also weiter. Muß ich halt ohne Verkehrssperrung die tosende B 28 im Ort überqueren, na ja ...

Aber jetzt wird es leichter. Mit leichtem Gefälle geht's durch den Wald, es läuft sich flott und fast wie von selbst, der Puls beruhigt sich etwas. Bei km 6 ist der Getränkestand noch da, gottlob, denn ohne wär's schwierig geworden - und danach ein mordskräftezehrender Anstieg auf 460 m bis km 7. (Die Sporthalle im Neckartal liegt vielleicht 350 m hoch.)

Schließlich bin ich auf dem Pilgerweg, den ich vor zwei Wochen schon kennengelernt habe. Und auf einmal ist auch wieder der hagere Alte vor mir zu sehen, vielleicht 100 Meter vor mir.

Die Hochebene wird schmal, man kann auf beiden Seiten ins Tal hinuntersehen, und schon geht's so steil bergab, daß man schon wieder kräftig bremsen muß - welche Verschwendung! Wie angenehm wäre es gewesen, jetzt mit konstant 2 bis 3 % Gefälle ins Ziel zu sausen!

Vom Tal herauf ertönt Klatschen, sonstiger Lärm - da ist wohl wieder einer ins Ziel gekommen. Immer wieder erstaunlich, wie weit der Schall nach oben trägt, über einen Kilomter weit.

An der Kreuzung von vorhin nach links und kreuz und quer durch die Weinberge. Steile Abhänge, herrliche Ausblicke auf das Dächergewirr des Dorfes. Ein Schild macht auf »Kalkmagerrasen« aufmerksam. In der Tat gedeihen am Spitzbergsüdrand seltene Gewächse, darunter solche, die sonst nur im Mittelmeerraum wachsen. Die Turmuhr im Tal schlägt 12 - 90 Minuten bin ich jetzt unterwegs.

Aber jetzt geht es flott voran. »Jetzt geht's besser als zu Beginn«, sagt mir einer der Schlußradler. Ja logisch - bergauf geht's halt nicht so schnell. »Ich hab mich am Anfang zurückgehalten, um hintenraus noch Reserven zu haben.«

Und den hageren Alten - den überhole ich jetzt. Wieder Vorletzter: Mein Stammplatz. - Die Kreuzung über die B 28 wurde doch noch für uns zwei letzte freigehalten. Und noch ein paar hundert Meter, dann ist auch dieser Lauf wieder Geschichte - nach gut 101 Minuten.

»Rüdiger Happ vom Club Marterpfahl«, brüllt der Ansager. (Ich hatte diesmal »Club Marterpfahl« auf der Anmeldung geschrieben statt »Club Zatopek«, jene Tübinger Kneipe, mit der ich kaum etwas zu tun habe. Warum auch nicht? 2010 war unter den letzten einer vom »FMPB - Förderverein metrosexueller Playboy-Bunnies«. Na bitte! ;-) »Hoffentlich war es keine Folter hier!« rief der Ansager mir zu. »Na - geht so!« rief ich.

Ab unter die Dusche. Aus dem Lautsprecher ertönte die unsäglich quäkende Stimme einer Frau, die zur Siegerehrung beim Zwergenlauf mahnte - zum Amüsement von uns männlichen sich Umkleidenden.

Auf der Hauptstraße gibt's, wie schon letztes Mal gesagt, drei Dorfgasthöfe. In der »Krone« labte ich mich bei Radler, Sauerbraten und Spätzle.

Inzwischen schien die Sonne warm. Gemütlich mit der Harley über Rottenburg und Dettingen heimwärts gondeln ...

Abendliche Lektüre unter wwww.spitzberglauf.de: Meine Zeit ist 1:41:17. Der hagere Alte kam als letzter über eine Minute nach mir ins Ziel, aber ich wäre froh, wenn mit 76 noch so fit wäre. Der oben erwähnte »Förderverein« ist jetzt zu einer »Interessengemeinschaft metrosexueller Playboy-Bunnies e. V.« mutiert :-)

»Zeig brav ›Heil!‹ und nicht den Vogel, Elschen!« rief Mama Queenmom ...

  ... und sie tat's, Klein-Elschen. In der Bildmitte die spätere Queen Elisabeth II, links die spätere "Queenmom", rechts der ...